Spanische Grippe

Spanische Grippe: "Der Tod tritt uns unvermittelt zur Seite"

Harald Salfellner „Die Spanische Grippe Eine Geschichte der Pandemie von 1918“ Vitalis-Verlag, 191 Seiten, 24,90 €
Harald Salfellner „Die Spanische Grippe Eine Geschichte der Pandemie von 1918“ Vitalis-Verlag, 191 Seiten, 24,90 €
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An der Spanischen Grippe starben 20 bis 50 Millionen Menschen – qualvoll.

Als Mediziner, der die Geschichte seiner Kunst schon in mehreren Werken dargestellt hat, liebt Harald Salfellner die schnörkellose Sprache. Das kommt ihm in seiner umfangreichen Schilderung jener Pandemie von 1918 zugute, die als die Spanische Grippe in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

1918, noch tobte der mörderische Erste Weltkrieg, raste eine bis dahin unbekannte Seuche rund um den Erdball. Im ohnehin schon erschöpften Europa starben 2,5 Millionen Menschen, in Indien fast 14 Millionen, in den USA 675.000, in Brasilien 300.000. Wie viele es in Russland oder in China waren, weiß kein Mensch. Nur eines ist gewiss: Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs sind weniger Menschen umgekommen. Epidemiologen werden später von zwanzig bis fünfzig Millionen Opfern sprechen.

Schon zuvor, 1892, hatte ein junger Mann in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ auf sich aufmerksam gemacht: Richard Pfeiffer, Assistent Robert Kochs an der Berliner Charité. Er stellte erstmals den mutmaßlichen Erreger namens Haemophilus influenzae dar.

Doch bis heute wird gerätselt, ob dies damals der Auslöser war. Die Verheerungen durch die damalige Pandemie wurden noch verstärkt durch die hohe Sterblichkeit junger Frauen. So kamen weltweit wegen der Spanischen Grippe Millionen Kinder gar nicht erst zur Welt. Eine durch den Krieg noch vergrößerte demografische Lücke tat sich auf.

Buch nun stark erweitert

Salfellner hat über die Seuche schon vor drei Jahren publiziert, aus aktuellem Anlass das Buch aber nun stark erweitert. In 35 Kapiteln schildert der Autor die unklaren Ursprünge, den Verlauf der einzelnen Wellen und das Krankheitsbild der gefürchteten Lungenentzündungen, denen die Ärzte damals weitgehend hilflos gegenüberstanden. Unter den Toten beklagte man auch Tausende Ärzte und Krankenschwestern, die dem Virus in Ausübung ihres Berufs erlagen. Mit mehr als 280 Abbildungen ist der Band eine Zeitreise zu den Schauplätzen dieser größten Gesundheitskatastrophe der Menschheitsgeschichte.

Nach einem letzten Aufflackern 1920 in Europa verlor sich die Grippe endgültig in den üblichen saisonalen Epidemien, war aber noch für einige Jahre an der erhöhten Sterblichkeit schuld, schreibt Salfellner. Dann verschwand sie aus den Statistiken und geriet so allmählich in Vergessenheit.

Kopfschüttelnd fragt unser Autor, warum die Gesundheitspolitiker weltweit nichts aus derlei Katastrophen lernen. „Mag die Coronakrise auch die diesjährigen Schlagzeilen dominieren, so kann bereits in den kommenden Jahren ein pandemisches Grippeereignis mit höherer Mortalität als bei der von Covid-19 ins Haus stehen“, liest man. Und: „Immerhin hätte sich mit einem Bruchteil der nun anfallenden astronomischen Summen das europäische Gesundheitswesen krisenfest für den Ernstfall machen lassen.“ Nach überstandener Krise sollte man sich auf künftige Katastrophen dieser Art besser vorbereiten.

Die Schlussfolgerung des Medizinhistorikers: Womöglich falle uns Heutigen die Bewältigung der aktuellen Pandemie deswegen so schwer, „weil wir aus sicherem Wohlstand heraus an die Brüchigkeit unseres Daseins erinnert werden. Das Fest ist beendet, der Tod tritt uns unvermittelt zur Seite.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2021)

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