Mein Dienstag

Phantomschmerzen

Wien, wegen COVID-19 geschlossenes Gartenbaukino // Vienna, closed Gartenbau Cinema due to COVID-19
Wien, wegen COVID-19 geschlossenes Gartenbaukino // Vienna, closed Gartenbau Cinema due to COVID-19viennaslide / picturedesk.com
  • Drucken

Sich mit der Pandemie vorübergehend zu arrangieren erfordert Fantasie, Kreativität und Vorstellungskraft. Haben wir.

Die Idee dazu entstand, als die Kinokette Hollywood Megaplex vor ein paar Monaten beschloss, Nachos und Popcorn (inklusive Jumbo-Becher) zum Abholen anzubieten. Mit großem Erfolg, was kaum überrascht – denn jeder weiß, dass insbesondere Popcorn im Kino ganz anders schmeckt als selbst gemachtes oder das aus dem Supermarkt. Wie Schwimmbad-Pommes in der Papiertüte, mit denen nichts auf der Welt mithalten kann.

Geschuldet dürfte dieses Phänomen wohl auch den Erinnerungen an die ersten Kinoabende sein, als das Buffet tabu war. Eine „Super Kombi“ mit Nachos, Cola light und Sportgummi für acht Euro – welcher Schüler soll sich das zusätzlich zum Kinoticket leisten können? Selbiges gilt für das Schwimmbad, als sich die kleine Tüte Pommes mit Ketchup und ein Tschisi-Eis höchstens bei jedem dritten Besuch ausgingen.

Zurück zur Idee. Pandemie hin oder her, wir dürfen uns nicht gehen lassen, weder körperlich noch geistig. Wenn Kinos, Restaurant und Bars geschlossen haben, muss ihr Flair eben imitiert werden – und zwar ohne Kompromisse. Das bedeutet, sich schick zu machen, teures Parfum aufzutragen und zu zweit einen Film zu schauen, zu essen oder eine gute Flasche Wein zu trinken. Wie eine „Date Night“, nur zu Hause. Auch möglich in der „Extended Version“, um in der Sprache des Films zu bleiben – also mit engen Freunden, die per Zoom oder Teams zugeschaltet werden.

Aber ist das nicht irgendwie. . . na ja, erbärmlich? So zu tun, als würde man sich in einem Kino, Restaurant oder einer Vinothek befinden, während im Nebenzimmer die Waschmaschine zu hören ist? Ja, vielleicht. Aber Tatsachen zu verdrängen und sich etwas vorzumachen, gehört zu unseren schärfsten intellektuellen Waffen. Wir können leben, ohne ständig daran zu denken, irgendwann an einer schlimmen Krankheit oder einem Unfall zu sterben. Wir können verstorbene Menschen lieben. Wir können Schmerzen in Körperteilen empfinden, die uns entfernt wurden. Wir können also Phantomschmerzen haben. Mit diesen Fähigkeiten können wir uns auch einen exklusiven Abend im Wohnzimmer einbilden, das noch vor wenigen Stunden unsere Küche, unser Arbeits- und Trainingszimmer war.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.