Selbst in Zeiten von Impfnationalismus ist die EU gut beraten, ihre Linie als Vorreiterin des weltweiten Freihandels beizubehalten.
Warum Nationalismus dumm ist? Er ist es, weil er wie viele aktuell populäre Denkweisen eine Logik vorgaukelt, die es in einer globalisierten Welt nicht mehr gibt. Er geht von einem vereinfachten Nullsummenspiel aus: Nur wenn wir nicht mehr von anderen gestört oder übertrumpft würden, ginge es uns besser. Ohne äußeren Einfluss, so diese Illusion, wendet sich alles zum Guten, weil hier der bessere Mensch, die bessere Kultur, die bessere Qualität, die bessere Moral herrscht. Schon der Umkehrschluss offenbart die Fehleinschätzung: Damit wären alle anderen Menschen dieser Welt, ihre Kultur, ihre Wirtschaft und ihre Moral weniger wert und lediglich störend. Nationalismus und Protektionismus schließt zwei wesentliche Faktoren aus: das voneinander Profitieren und die gegenseitige Abhängigkeit. Das eine ist eine riesige Chance, das andere längst Realität.
In der Covid-Krise mit ihren Phänomenen Impfnationalismus und Impfstoffprotektionismus, waren auch in Europa Stimmen laut geworden, dem „gesunden Egoismus“ zu frönen. Die Idee des Nullsummenspiels schien sich wieder durchzusetzen. Doch diese Rechnung geht wie so oft von falschen Prämissen aus. Weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene hätte autark ausreichend Impfstoff hergestellt werden können. Wer sich dies durchdenkt, wird bald erkennen, dass globale Lieferketten auch in der Pharma- und Gesundheitsbranche nicht nur Realität, sondern auch Notwendigkeit sind. Was, wenn im Gegenzug zu Exportverboten europäische Pharmaunternehmen keine Substanzen zur Produktion, keine Laborgeräte, Messgeräte etc. erhalten würden? Jede einzelne Nation ist in dieser heiklen Situation von anderen abhängig. Deshalb reagierte beispielsweise London, das auf seine trickreiche Impfstrategie so stolz war, panisch, als Brüssel mit Exportbeschränkungen drohte. Es war eine unübliche Vorgangsweise für die EU-Kommission, die normalerweise solche Maßnahmen ablehnt.