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Rotwein aus dem Kühlschrank

Regelwerk. Rotwein kühlschrankkalt und mit vielen Tanninen: Darf man das denn mögen?
Regelwerk. Rotwein kühlschrankkalt und mit vielen Tanninen: Darf man das denn mögen?(c) REUTERS (Regis Duvignau)
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Weinseminar, zweiter Teil: Lieber den Regeln der Weinesoterik folgen? Oder dem Geschmack?

Triggerwarnung: Falls Sie über Weinkennerschaft verfügen, bitte weiterblättern. Diese Zeilen könnten Ihre Gefühle verletzen. Zunächst meine Rotweintheorie: Ich bevorzuge hohen Tanningehalt. Leider besagt eine Regel, derartige Weine solle man bei Raumtemperatur trinken, andernfalls leide das Bouquet. Ich halte es jedoch mit den südlichen Völkern, die Rotwein kühlen. Kann nicht anders. Ich mag keine lauwarmen Getränke, und ungekühlter Alkohol fühlt sich in meinem Mund schal an. Ich bestehe daher darauf, dass mein Rotwein, egal welcher Sorte, aus dem Kühlschrank kommt. Dieser Wunsch treibt Weinkenner und Weinkennerinnen regelmäßig in den Wahnsinn.

Raumtemperatur? Ich führe an, ihre Warmtrinkregel komme direkt aus der späten Neuzeit, als die Temperaturen der Behausungen unserer Spezies deutlich unter jenen unserer gegenwärtigen, heizbaren, aufgeheizten, lagen. Je nach Stand der Expertise wird mir mit gefühlsbetonten oder inhaltlichen Argumenten widersprochen, immer jedoch leidenschaftlich. Denn es geht um religiös aufgeladene Regeln, gegen die der persönliche Geschmack hintanzustehen habe. Rotwein "müsse" lauwarm getrunken werden, daran führe kein Weg vorbei. Ich wechsle in solchen Fällen, befriedigt über meine aus ganzem Herzen empfundene Devianz, auf Weißwein oder Gspritzten.

Im letzten Weinseminar besprachen wir den Aufstieg unseres Heimatlandes zum Land der Spitzenweine. Von der herkömmlichen Weinkultur blieb der "Weiße Gspritzte", bei dem die Weinqualität in den Hintergrund gerät. Der Gspritzte (oder, wie man unnachvollziehbarerweise sagt, der "Spritzer", als würde er aktiv spritzen) ist der Jackpot für mittelmäßige Weine, da sich Mineralwasser ausgezeichnet zu ihrer Umwandlung in ein brauchbares Getränk eignet. Mehr noch, ein Gspritzter, dessen önologische Hälfte aus einem "Spitzenwein" besteht, schmeckt manchmal fast ungenießbar. Das darf man natürlich nie jemandem sagen, der über Weinexpertise verfügt, denn überheblicher Widerspruch ist die stumpfe Waffe jener, die den Regeln der Weinesoterik lieber folgen als dem individuellen Geschmack.

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