2020 starb der japanische Ausnahmeregisseur Nobuhiko Obayashi. Sein Abschiedswunderwerk „Labyrinth of Cinema“ kann man nun auf Mubi streamen.
Unter all den Kuriositäten, die das japanische Kino hervorgebracht hat, ist Nobuhiko Obayashis „Hausu“ (1977) immer noch eine der schönsten. Schulmädchen machen Sommerurlaub in einem alten Anwesen und fallen dort allerlei wunderlichem Spuk anheim: Abgetrennte Finger klimpern auf dem Bechstein, ein Augapfel lauert in der Wassermelone, Katzenporträts spucken Blut. Doch die Stimmung ist verspielt, nicht gruselig, ein kunterbuntes Tohuwabohu, umweht von sanfter Wehmut.
Obayashis Langfilmdebüt wurde Kult, verstellte aber den westlichen Blick auf die Vielfalt seines übrigen Schaffens. Erste Erfolge feierte der unermüdliche Ideenspinner mit experimentellen Arbeiten. Anschließend wechselte er ins Werbefach, drückte Duftwasser-Reklame mit Charles Bronson seinen schillernden Stilstempel auf. Und drehte nach „Hausu“ an die 40 Filme in allen erdenklichen Genres, ohne je seine Fabulierwut zu zügeln. Humanismus und die Kostbarkeit der Jugend waren seine Leitmotive.
2020 verstarb Obayashi 82-jährig. Drei Jahre zuvor hatte eine Krebsdiagnose seine Tage gezählt. Doch zwei Herzensprojekte konnte er noch vollenden, beide innige Anti-Kriegs-Manifeste: Die Romanadaption „Hangatami“ und das irrwitzige (Film-)Geschichtskarussell „Labyrinth of Cinema“. Letzteres lief vergangenen Herbst beim Wiener Slash-Filmfestival. Und feierte kürzlich Online–Premiere im laufenden Programm des Arthaus-Streamingdienstes Mubi.
Schon die Anfangsszenen des Films, in denen ein Alter Ego des Regisseurs durchs Weltall driftend über Zeit und Raum philosophiert, machen deutlich, dass Obayashis Fantasie sich auch bei ihrem Schwanengesang nicht um budgetäre Einschränkungen scherte. Entsprechend vertrackt ist die Handlung dieses „Labyrinths“: Das letzte Kino einer Hafenstadt zeigt kurz vor seiner Schließung einen Kriegsfilm-Marathon. Drei ungleiche Jungmänner träumen sich in die Schlachtengemälde hinein – und versuchen, von der Fiktion aus den Lauf der japanischen Geschichte zu ändern.
Samurai und Tarzan
Der erste Teil der Zauberreise purzelt, vollgepackt mit anarchischen Verfremdungseffekten, von einer Genre-Hommage in die nächste – und zwar so ungestüm, dass einem schwindelt. Eben war man noch in einem Musical, auf einmal stürmen Samurais die Leinwand, plötzlich schwingt Tarzan durch die Szenerie. Erst ab der Hälfte schaltet die Bilderschleuder einen Gang runter. Und das pazifistische Anliegen der Erzählung schält sich heraus.
Skizzen verderblichen Kriegsgeschehens (von der Meiji-Ära bis zum Kampf um Okinawa) kulminieren im Bestreben der Hauptfiguren, eine Theatertruppe vom Auftritt in Hiroshima abzuhalten – kurz vor dem Abwurf der Atombombe.
Obwohl sich Obayashi keine Illusionen hinsichtlich menschlicher Gewaltbereitschaft macht, ist sein Glaube an die aufklärende Kraft des Kinos unerschütterlich. Bleibt zu hoffen, dass seine Utopie bald endlich wieder aufsperren darf.