Gekaufte Forderungen: Der Handel mit Madoffs Schuld

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Finanzinstitute Handel Madoffs Schuld(c) EPA (PETER FOLEY)
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Große Finanzinstitute kaufen geprellten US-Investoren ihre Forderungen gegen den Betrüger ab. Sie hoffen, dass die Nachkommen eines Großinvestors Gewinne zurückgeben müssen.

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Großinvestor Jeffry Picower wurde im Oktober des Vorjahres tot in seinem Swimmingpool im Feriendomizil Palm Beach (Florida) aufgefunden. US-Zeitungen berichteten tagelang auf der Titelseite. Picower zählte nicht nur zu den 400 reichsten Amerikanern. Er war auch der größte Nutznießer des jahrzehntelangen Schwindels von Bernard Madoff.

Rund eine Mrd. Dollar (750 Mio. Euro) hat Picower 1996 in die Firma des mittlerweile zu 150 Jahren Haft verurteilten Betrügers gesteckt. In den folgenden Jahren ließ sich der Unternehmer 7,2 Mrd. Dollar ausbezahlen. 1999 erzielte er die stolze Rendite von 950 Prozent. „Entweder er hat vom Betrug gewusst. Oder er hätte erkennen müssen, dass etwas faul ist“, folgerte Irving Picard. Der für die Entschädigung der Opfer von Madoff zuständige New Yorker Anwalt klagte Picower auf Rückzahlung des Gewinns.

Der Investor wurde neben Madoff zum „meistgehassten Mann der USA“, wie das Boulevardblatt „New York Post“ schrieb. Offiziell erlitt Picower einen Herzinfarkt, während er im Pool seine Runden drehte. Doch die Spekulationen rissen nicht ab. Da war von Selbstmord die Rede, selbst Mordgerüchte machten die Runde. Die Behörden dementierten heftig. Und schließlich wurde es still um den Tod des jahrelangen Freundes von Madoff.

Cash in Windeseile. Doch die Ruhe währte nicht lange. Jeffry Picower ist seit einigen Wochen wieder Gesprächsthema. Vor allem in den Büros der Großbanken plaudert man über den verstorbenen Investor. Die Finanzinstitute haben eine Geschäftsidee geboren, deren Erfolg wesentlich vom Ausgang der Klage gegen die Nachkommen von Picower abhängt.

Mehrere Banken bieten geprellten Anlegern die Chance, ihre Forderungen gegen Madoff zu verkaufen, gegen Bezahlung von 20 bis 30 Prozent des Wertes. Hat eine Privatinvestorin im Zuge des größten Betrugsfalles der US-Wirtschaftsgeschichte also beispielsweise eine Million Dollar verloren, kann sie für diese Forderung zwischen 200.000 und 300.000 Dollar kassieren. Sie erspart sich den jahrelangen Rechtsweg, erhält sofort Cash, gibt aber die Möglichkeit auf, eventuell mehr Geld zugesprochen zu bekommen.

Madoff baute über Jahrzehnte ein gigantisches Schneeballsystem auf. Anleger aus der ganzen Welt investierten direkt oder indirekt über Investmentfonds 15 bis 20 Mrd. Dollar in die Firma des ehemaligen Chefs der Technologiebörse Nasdaq. Berücksichtigt man gefälschte Kontoauszüge, mit denen Madoff Investoren Gewinne vormachte, beläuft sich der Schaden auf etwa 65 Mrd. Dollar. Betroffen sind auch österreichische Anleger, die über die ehemalige Bank Medici in die Firma des einstigen Börsengurus investiert waren.

Für betrogene US-Anleger scheint es realistisch, etwa ein Viertel der ursprünglich investierten Summe zurückzubekommen. Bislang hat Vermögensverwalter Picard knapp zwei Mrd. Dollar sichergestellt. Weitere zwei bis drei Mrd. Dollar dürften folgen, zum Beispiel durch den Verkauf von Vermögenswerten. So können Bootliebhaber aktuell für Madoffs 27 Meter lange Jacht bieten. Picard erwartet einen Erlös von zehn Mio. Dollar.

Renditen von 100 Prozent? Jene Institute, die in Madoffs Schuld investieren, hoffen aber auf ganz andere Summen. Picard hat hunderte Klagen laufen. Es geht um einen Wert von 14,5 Mrd. Dollar. Der wichtigste Rechtsstreit ist zweifelsohne jener gegen die Nachkommen von Jeffry Picower. Entscheiden die Gerichte, dass Picower von den Machenschaften Madoffs gewusst hat oder zumindest Verdacht hätte schöpfen müssen, dann blühen den Instituten Renditen von 100 Prozent oder mehr. Die erwarteten Rückflüsse von vier bis fünf Mrd. Dollar könnten sich schlagartig verdoppeln.

Wie groß der Markt für den Handel mit Madoffs Schuld mittlerweile ist, bleibt unklar. Die Banken und die betroffenen Anleger hüllen sich in Schweigen. Der Nachrichtensender Fox News berichtete vergangene Woche von Verhandlungen eines geschädigten Investors mit der Deutschen Bank und dem Schweizer Institut UBS. Demnach geht es um eine Forderung von 250 Mio. Dollar. Der von Madoff Betrogene – es soll sich um den Besitzer des Baseballteams der New York Mets handeln – fordere 28 Prozent. Derzeit seien die beiden europäischen Banken bereit, maximal 25 Prozent zu bezahlen.

Der Grund für den mangelnden Informationsfluss liegt auf der Hand: „Die ohnehin imagegeschädigten Banken fürchten um ihren Ruf“, schreibt die „New York Post“. Noch härter geht Fox News mit der Branche ins Gericht: „Nun schafft es Wall Street sogar, bereits betrogenen Investoren nochmals Geld aus der Tasche zu ziehen“, sagt Charlie Gasparino von dem sonst so wirtschaftsliberalen Sender. Er glaubt, dass sich durch das Handeln mit den Forderungen gegen Madoff „ein milliardenschwerer Markt“ gebildet hat.

Andere Beobachter wiederum argumentieren, dass die Banken eine wichtige Finanzierungsfunktion übernehmen. Sie würden jenen Investoren, die nahezu ihr gesamtes Vermögen bei Madoff angelegt hatten, dringend benötigte Mittel zur Verfügung stellen. Andernfalls müssten die Betrogenen jahrelang auf den Ausgang der Verfahren warten. UBS und die Deutsche Bank, die von mehreren US-Medien explizit genannt werden, waren bislang zu keiner Stellungnahme bereit.

Europäer bangen um ihr Geld. Dem Betrug von Madoff, der seit Mitte des Vorjahres seine Gefängnisstrafe in Butner (North Carolina) absitzt, saßen auch viele Europäer auf. Sie investierten zum größten Teil indirekt über sogenannte „Feeder-Fonds“ in die Gesellschaft des Amerikaners.

Das Schicksal dieser Anleger war am Donnerstag Thema bei einer Anhörung in Washington. Das US-Investmentgesetz schützt Kleininvestoren vor Betrügern bis zu einem Betrag von 500.000 Dollar. Weil es zu einem Schwindel wie jenem von Madoff keinen Präzedenzfall gibt, ist unklar, ob dieser Schutz auch für indirekte Investments von Ausländern gilt. Der Chef der zuständigen „Securities Investor Protection Corporation“, Orlan Johnson, sagte am Donnerstag, dass man dies „derzeit erst prüft“.

Wann geschädigte Investoren auf dem Rechtsweg zu einem Teil ihres verlorenen Vermögens kommen könnten, ließen Johnson und Anwalt Picard offen. „Noch sind wir mit dem Verkauf von Vermögenswerten und den vielen Klagen beschäftigt“, sagte Picard. Zu der Möglichkeit von Geschädigten, ihre Forderungen an Finanzinstitute zu verkaufen, äußerten sich die Behörden nicht.

Die Nachkommen des verstorbenen Jeffry Picower haben indes bereits angekündigt, bis „zum bitteren Ende“ zu kämpfen, um die ausbezahlten Gewinne behalten zu können. Ihre Ausgangsposition dürfte sich verschlechtert haben. Ihre Gegenüber sind nun zum Teil keine betrogenen Investoren mehr, sondern große Institute wie die Deutsche Bank oder UBS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2010)

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