Die waldreiche Provinz Västerbotten liegt weit, aber nicht ganz nördlich in Lappland. Schweden-Freunde schätzen die Stille, das Pure, das Unaufgeregte hier.
Während er mit dem Wind und den Streichhölzern kämpft, erklärt Peder Karlsson, was Bevölkerungsdichte für ihn als Nordschweden bedeutet: „Einmal wohnte ich in Lycksele“ – ha, die Holzscheite brennen an! –, „doch da war es viel zu voll. Also bin ich wieder hierher zurückgezogen.“ Jetzt setzt Peder die Eisenplatte auf die Feuerstelle, es brutzelt. Hier: Das ist Joesjö, ein paar Häuser, kein Dorf. Lycksele hingegen – das sei schon ein „Tätort“, eine Stadtregion, erklärt der Outdoorunternehmer. Wir würden sagen: Marktgemeinde. Statistische 4,6 Einwohner pro Quadratkilometer – wohnt überhaupt jemand in der Provinz Västerbotten? Außer nahe der Küste, aber weit draußen im borealen Wald? Wo Elche und Bären durchs Gebüsch knacksen? Wo die Wiege der Skination Schweden steht? Wo jetzt Peders Kanus am Ufer des Övre Jovattnet und die Schwammerl am Grill liegen?Ganz so einsam gestaltet sich eine Reise in den Süden Lapplands nicht, zumindest am Anfang. Die meisten Besucher starten in Umeå, einer Stadt voller Birken, Museen, moderner Architektur, Heavy-Metal-Bands und, ja, wäre da nicht diese Pandemie, recht viel Gastronomie für skandinavische Verhältnisse. 2014 war Umeå europäische Kulturhauptstadt und scheint davon profitiert zu haben, wenn man die hübschen Häuser und die Studenten auf der Promenade am Ume älv betrachtet, dem Fluss, der hier in den Bottnischen Meerbusen mündet.
Rotes Haus im dichten Grün
Doch dieser urbane Eindruck verliert sich schnell auf den Kilometern landeinwärts. Der Wald verwächst zum Teppich, Wasser füllt alle Zwischenräume aus, die Häuser schrumpfen. Ob sie rot sind, damit man sie vor lauter Bäumen und Seen besser findet?Wir finden das Ferienhaus von Janne Wiktorssons Eltern. Überraschung, sagt Janne, in Wahrheit meint er Mutprobe. An diesem sommerlichen Feiertag isst halb Nordschweden Surströmming – einen durch Milchsäuregärung konservierten Hering. Aus Rücksicht auf den Besuch machen die Wiktorssons die Konserven im Freien auf. Doch es regnet. Als wir in der Hütte Butter, gehackte Zwiebeln, Erdäpfel, Tomaten und einen Klacks Sauerrahm auf das dünne Weißbrot mit dem Hering schichten, fehlt uns jegliche mitteleuropäische Geschmacksreferenz. Mit jedem Bissen gefällt der streng aromatische Hering mehr am Gaumen, Leichtbier – Lättöl – hilft freilich dabei. An schwedischen Werktagen hätten die herzlichen Gastgeber in ihrer Ferienhütte am Malgomaj-See uns wohl auf eine Fika eingeladen. Heißt: Kaffee und Gebäck. Denn Fika geht immer in einem Land mit exorbitantem Kaffeeverbrauch. Und überall.Als wir uns im Auto die letzten Zimtschnecken zwischen die Zähne schieben, springt Janne plötzlich auf die Bremse. Wildwechsel. Auch so eine seiner „Västerbotten Experiences“? Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mitten auf der Straße, das sei kein Elch, sondern ein Rentier. Erstere sind größer, Letztere leben keineswegs wild. Die Rentierzüchter haben eine sehr genaue Kenntnis über die Kopfzahl und die Wanderbewegungen ihrer Herde. Nur zögen die einst halbnomadisch lebenden Samen nicht mehr durch die Wälder und Weidegründe, sondern fahren mit dem Geländewagen oder Motorschlitten zu ihnen hinaus. Das Rentier schaut leicht verächtlich. Wir warten, bis es sich auf die andere Seite bequemt, und trinken Kaffee.