Wiener Wohnen

Ein abgesagter Bauskandal – und die Folgen

Der Bürokomplex "Gate 2" in Wien Landstraße
Der Bürokomplex "Gate 2" in Wien Landstraße(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Wegen der Anmietung des Bürogebäudes „Gate 2“ durch die Stadt Wien ohne Ausschreibung zitierte die EU-Kommission Österreich vor Gericht. Der EuGH gab überraschend Entwarnung, das erleichtert auch andere Projekte.

Wien. Der EuGH hat entschieden, und die Überraschung war groß: Die Stadt Wien-Wiener Wohnen hat bei der Anmietung der Räume für die neue Zentrale von „Wiener Wohnen“ – im Bürokomplex „Gate 2“ nahe beim Gasometer – doch nicht gegen Unionsrecht verstoßen. Rund um diesen Mietvertrag hatten zuvor nicht nur manche Medien, sondern sichtlich auch die EU-Kommission einen handfesten Vergabeskandal gewittert. Doch nun löste sich die Sache – wie schon kurz berichtet – in Wohlgefallen auf.

Aber worum ging es konkret? Der Vorwurf gegenüber der Stadt Wien lautete, sie habe im „Gate 2“ nicht einfach nur Büroflächen gemietet, sondern sich die Immobilie nach ihren eigenen Wünschen bauen lassen und die Ausführung dann auch „wie ein Bauherr kontrolliert“. Sie sei somit de facto selbst die Bauherrin gewesen.

Trotzdem habe sie den Vertrag an die damalige Grundstückseigentümerin, die Vectigal Immobilien GmbH & Co. KG, ohne vorherige Ausschreibung und ohne öffentliche Bekanntmachung direkt vergeben. Damit habe sie gegen EU-Vergaberecht verstoßen.

Die EU-Kommission hatte Österreich deshalb geklagt, der Generalanwalt beim EuGH vertrat in seinen Schlussanträgen dieselbe Rechtsansicht, damit schienen die Weichen gestellt. Doch es kam anders: Der EuGH wies die Klage der Kommission gegen Österreich ab (C-537/19). Es sei der Kommission nicht gelungen, einen Rechtsverstoß von Wiener Wohnen nachzuweisen, entschieden die Richter in Luxemburg.

Eine unerwartet großzügige Sicht der Dinge – das bestätigen nun auch Vergaberechtsexperten im Gespräch mit der „Presse“. Denn als problemlos galten bisher nur Anmietungen der öffentlichen Hand in bestehenden Gebäuden. „Mietverträge unterliegen zwar grundsätzlich nicht dem Vergaberecht“, erklärt Manfred Essletzbichler, Partner bei Wolf Theiss. Bei einem Vertragsabschluss bereits in der Planungsphase laute die Frage jedoch: Lässt der künftige Mieter speziell für seine Bedürfnisse bauen? Und was darf man sich als Mieter gerade noch wünschen, ohne dass ein ausschreibungspflichtiger Bauauftrag entsteht?

„Architektonische Struktur“

Im Zweifel lieber weniger als mehr, lautete da der bisherige Zugang. Der EuGH sieht das nun jedoch weniger eng als bisher angenommen. Auf die Ausnahme für Mietverträge könne man sich nicht berufen, „wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung zu nehmen“, heißt es in dem Urteil. Und das sei insbesondere dann der Fall, wenn die vom Auftraggeber verlangten Spezifikationen „über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine Immobilie (...) hinausgehen“. Vor allem, wenn nachgewiesen werden kann, dass „Einfluss auf die architektonische Struktur dieses Gebäudes wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt wird“. Gehe es jedoch bloß um die Gebäudeeinteilung, komme es darauf an, ob sich die Anforderungen des Mieters „aufgrund ihrer Eigenart oder ihres Umfangs abheben“.

Und das war laut EuGH hier nicht der Fall. Die Immobilie sei als klassisches Bürogebäude konzipiert worden, nach einem für Büroimmobilien dieser Größe üblichen Rastersystem, „das eine für künftige Mieter passende, möglichst flexible Innenaufteilung gewährleistet“. Und dass ein – privates oder öffentliches – Unternehmen, das ein Bürogebäude mieten möchte, bestimmte Wünsche hinsichtlich der Eigenschaften äußert, die der neue Standort nach Möglichkeit aufweisen sollte, sei üblich. „Solche Schritte erlauben es nicht, einen Mietvertrag in einen Bauauftrag umzudeuten“, urteilte der EuGH.

Auch die Vorgaben von Wiener Wohnen hinsichtlich der technischen Standards sowie der Nachhaltigkeitsstandards hielten sich demnach im Rahmen des Marktüblichen. Hier seien die Anforderungen von Mietern allgemein höher geworden, hielt der Gerichtshof fest. Und selbst an der langen Laufzeit des Mietvertrags – mit erstmaliger ordentlicher Kündigungsmöglichkeit nach 25 Jahren – stieß sich der EU-Gerichtshof nicht.

Was heißt das nun für andere Projekte? Wichtig ist vor allem ein bereits fertiger Architekturplan. „Angenommen, Wiener Wohnen hätte sich ein Gebäude mit dem Grundriss ,WW‘ bauen lassen: Das ginge nicht“, nennt Wolfgang Lauchner aus dem Vergaberechtsteam von Wolf Theiss ein plakatives Beispiel. Beim Innenausbau gehen die Mitbestimmungsmöglichkeiten jedoch weiter als gedacht. „Da kommt es auf die Marktüblichkeit an“, sagt Lauchner.

Folgen bei Verstoß „beinhart“

Erleichterungen bringt das jedenfalls bei gängigen Immobilien wie Bürogebäuden, bei denen die meisten Mieter, egal ob privat oder öffentlich, ähnliche Anforderungen stellen. Bei spezifischen Bauwerken, etwa bei Schulen oder Krankenhäusern, „bleibt es aber kritisch“, sagt Essletzbichler. Und eines gelte nach wie vor: „Wird doch ein Verstoß festgestellt, sind die Folgen beinhart.“ Dann muss laut EuGH der rechtskonforme Zustand hergestellt werden, koste es, was es wolle. Und das bedeutet in einem Fall wie diesem: Man muss den Mietvertrag auflösen. „Selbst ein Kündigungsverzicht nützt dann nichts.“

Speziell bei Verträgen mit langer Bindungsdauer wäre das „ein Supergau“, sagen beide Juristen. Zwar heißt es in den Erläuterungen zum österreichischen Bundesvergabegesetz (§ 366), dass man in einem solchen Fall nicht nur die Pflicht, sondern auch ein Recht zur einseitigen Vertragsauflösung habe – allerdings haben die Erläuterungen keine Gesetzeskraft. Faktisch müsste man sich in vielen Fällen aus dem Vertrag teuer hinauskaufen und für die Zeit bis dahin auch noch ein hohes Bußgeld zahlen.

Hat man (private) Untermieter, kommen deren Entschädigungsansprüche dazu. Und dann ist da noch das faktische Problem, als Mieter rasch einen neuen Standort – und als Vermieter einen neuen Mieter finden zu müssen. Fazit: Vorsicht bleibt auch nach diesem Urteil geboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2021)

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