Abschied

Was Heinz Nußbaumer über seinen Freund Hugo Portisch sagte

Die Trauerfeier für Hugo Portisch fand am Donnerstag, den 29. April im kleinen Rahmen mit 50 Gästen statt.
Die Trauerfeier für Hugo Portisch fand am Donnerstag, den 29. April im kleinen Rahmen mit 50 Gästen statt.APA/BUNDESHEER/PETER LECHNER
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Am 29. April wurde der Journalist Hugo Portisch im engsten Kreis beerdigt. Die Abschiedsrede hielt sein langjähriger Wegbegleiter Heinz Nussbaumer. Dies ist die Rede in vollem Wortlaut.

Lieber Hugo!

Das Schicksal hat mir viele Jahre geschenkt, um über Dich nachzudenken. Welcher Glücksfall Du warst - für unser Land und seinen Weg. Für unsere Profession als Journalisten. Und für uns, Deine Freunde. Aber erst jetzt, da wir im kleinen Kreis von Dir Abschied nehmen müssen, ist mir aufgefallen, wie selten wir beide über Leben und Sterben geredet haben. Ja, schon, über unsere Erlebnisse als Augenzeugen in Kriegen und Katastrophen - über die Schrecken der Gewalt und Unmenschlichkeit, die wir beide aus großer Nähe erlebt haben. Aber kaum jemals ist dabei unsere persönliche Vorbereitung auf diese unausweichliche Perspektive des Menschseins zur Sprache gekommen.

Nur an zwei Momente erinnere ich mich, wo das zum Thema geworden ist: Das war unmittelbar nach dem Tod Deiner geliebten Traudi, die Du bis zuletzt im Krankenhaus betreut hast. „Bitte Hugo, hilf mir beim Sterben“ hat sie zuvor gesagt. Was für ein Zeichen Eures Vertrauens zueinander! Wenig später sind wir beide auf dem Balkon Eurer Dachwohnung gestanden und Du hast leise gesagt: „Am liebsten würde ich da hinunterspringen“. Dass Du es letztlich nicht tun würdest - auch weil es für so viele Menschen, die auf Dich geschaut haben, eine enorme Enttäuschung gewesen wäre –, darauf habe ich gehofft. Und so war es auch.

Monate später hast Du wieder ein wichtiges und mutiges Buch geschrieben. 

Und dann war der Tod noch ein zweites Mal unser Thema. Als Du in einem Interview gefragt worden bist, was einmal auf Deinem Grabstein stehen sollte, da hast Du gesagt: „Vergesst mich“. Es hat mich erschreckt, weil Du ja für Koketterie nichts übriggehabt hast. Also wollte ich Dein Motiv wissen: Warum dieses „Vergesst mich“?

Deine Antwort hat mich getroffen. „Die Welt und unser Beruf, alles hat sich verändert“, hast Du gesagt – „und auch über das, wofür wir noch gekämpft haben, ist die Zeit hinweg gegangen“. Und Du hast hinzugefügt: „Unsere Kollegen von heute müssen sich gegen so viele neue Verlockungen und Zumutungen bewähren. Ratschläge von uns – das wäre, als würden zwei alte Indianerhäuptlinge am Lagerfeuer sitzen und den Jungen von ihren Heldentaten erzählen…“ 

Du warst Orientierungspunkt und Leitstern

Lieber Hugo, Du weißt, wie sehr Du mir ein halbes Jahrhundert und mehr ein Orientierungspunkt und Leitstern warst. Und die so berührenden Reaktionen auf Dein Fortgehen zeigen, dass ich nur einer von Vielen bin. Aber zu diesem „Vergesst mich“ möchte ich Dir eine ganz andere Botschaft mitgeben – von der ich überzeugt bin: Dass Du – wie es einer Deiner Bewunderer formuliert hat – ein „Wegweiser“ warst und auch bleibst. Einer, der Spuren hinterlassen hat, die kein Wind der Zeit verwehen kann.

Wir alle wissen, wie viel zuletzt über Dein Leben, Dein Wirken und Dein Vermächtnis gesprochen und geschrieben worden ist. Nichts davon möchte ich jetzt wiederholen, sondern mich auf das beschränken, was von Dir bleiben muss.

Zuallererst: Kein anderer Österreicher ist mir begegnet, für den Heimatliebe, Europa-Bewusstsein und Weltbürgertum so untrennbar zusammengehört haben wie für Dich. Denn, so hast Du gesagt, „je kleiner ein Land, desto größer muss es denken. Muss es die Augen und Ohren offenhalten und sich auch aktiv ins Spiel bringen – geistig, wirtschaftlich, kulturell. Muss sich unersetzlich machen - auch der eigenen Sicherheit zuliebe. Das war so, als wir noch zwischen Blöcken eingeklemmt waren“ - Du hast es noch hautnah erlebt – „und das gilt auch im globalen und digitalen Dorf“.

Weltoffenheit, ein Haltegriff

Hinter dieser Mission hast Du ein ganzes Bündel an Chancen erkannt – unersetzlich für ein Land, das immer gefährdet ist, die Sonne allzu schnell hinter den Schrebergärten der Selbstzufriedenheit untergehen zu lassen.

Weltoffenheit - das war für Dich auch ein Haltegriff, um manche innenpolitische Aufgeregtheit angesichts der Probleme dieser Welt als tragikomische Belanglosigkeit zu erkennen.

Und Europa - für Dich war es die größere Heimat – und unser Österreich das Kernland dieser Überlebensgemeinschaft. Auftrag genug, um - wie Du gesagt hast – auch jenseits der Grenzen „Akteur zu sein, nicht nur Voyeur“.

Deshalb hast Du – ich weiß nicht, wie oft – diesen Kontinent durchquert und diesen Globus umrundet; hast hunderttausenden Landsleuten davon berichtet und ihnen dabei auch bewiesen, dass neues Wissen nicht langweilig sein muss, sondern sehr wohl fesselnd sein kann.

Mehr noch: Du warst voll von politischen Ideen, wo immer Du Defizite entdeckt hast: vom Marschallplan für Afrika über eine neue Nachbarschaft mit Russland bis hin zu drängenden Vorschlägen, um der europäischen Idee mehr Kraft einzuhauchen.

Also frage ich mich: Wer wird das an Deiner Stelle künftig tun und Dein kosmopolitischer Erbe sein, ausgestattet mit jenem öffentlichen Grundvertrauen, das Dir zugeflossen ist?

Wer wird das künftig an Deiner Stelle tun?

Lieber Hugo,

wer Deine Berichte und Bücher gelesen hat und Deinen Kommentaren und Fernsehserien gefolgt ist, der kennt auch die ethischen Fundamente Deiner Arbeit. Ganz wichtig war Dir die Fairness – ein Anspruch an Dich selbst, der auf zwei Säulen ruhte: Deinem Mut - und Deiner Demut. Der Mut zur Wahrheit und zu Deinen Überzeugungen. Und die Demut vor dem Privileg, mit dabei sein zu dürfen, wenn der erste Rohentwurf der Zeitgeschichte geschrieben wird.

Ganz wichtige Fundamente Deiner Arbeit waren auch Dein enormes Geschichtswissen und Deine bedingungslose Begeisterungsfähigkeit für alles, wofür Du „gebrannt“ hast. Viktor Frankl, Dein Seelenverwandter, hat einmal geschrieben, dass mit der Begeisterung auch der Geist wachse – und mit dem Geist die Verantwortung. Das war nicht immer so - bei Dir aber ganz sicher.

Irgendwann hast Du für uns - Deine Schüler - die Grundprinzipien eines weltoffenen, verantwortungsbewussten Journalismus auf drei Sätze verknappt. An ihrer Gültigkeit wird auch Dein Abschied von uns nichts ändern. Sie heißen: „Aus der Geschichte lernen. Gegen Vorurteile kämpfen. Und zur Toleranz erziehen“.

Verehrte Trauergäste, ich träume davon, dass es uns gelingen möge, dieses Vermächtnis in das Morgen hinüber zu retten. Und dass wir künftig genau hinschauen, wenn Dein Name, Dein Ansehen und Dein Lebenswerk für andere, vordergründige Interessen ausgenützt werden sollen.

Noch ein Fundament Deiner Arbeit möchte ich nennen, von dem ich glaube, dass es im Zusammenleben von Menschen und Völkern immer wichtiger werden wird. Es ist die Bereitschaft, zu verbinden und zu versöhnen – vor und auch hinter den Kulissen. Österreich und der Wahrheit zuliebe. Du hast es immer wieder getan – und Dich nie dafür in die Auslage gestellt.

Als der ORF dieser Tage ausgeschwärmt ist, um Landsleute über Dich zu befragen, da hat es ein Passant auf den Punkt gebracht: Er hat daran erinnert, dass Du ein Leben lang immer ganz klar gesagt hast, was Dir, über alle Parteigrenzen hinweg, wichtig war - und dass Du trotzdem auf nahezu unerklärliche Weise keine Feinde gehabt hast.

Menschen wie Dich, die dazu fähig sind, braucht jede Gemeinschaft – ja, sie werden in Zeiten der digitalen Filterblasen noch wichtiger sein!

Für den Journalismus nach Deinem Verständnis hat das etwa geheißen, dass ein Interview kein Verhör sein muss, ein Kommentar kein Inquisitionsbericht und ein Medium kein moderner Pranger. Und immer wieder hast Du gemahnt, die oft so schwierige Willensbildung in der Demokratie nicht als „Zank“ und „Streiterei“ schlecht zu machen – und einen Kompromiss nicht als „Kuschelei“. Medien waren für Dich jedenfalls keine Tummelplätze für Ideologen und Kreuzritter, für Linientreue und Scheuklappenträger. Und, ganz wichtig: Immer musste unseren Lesern, Hörern und Sehern das Recht auf Zweifel und Widerspruch gewahrt bleiben!

In Deinen späten Jahren haben wir mehrmals darüber geredet: Wird es der Journalismus von Morgen noch schaffen, den Zement unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts anzurühren? Eine sichere Antwort darauf haben wir nicht gefunden.

Mein lieber Hugo,

am Ende Deines Lebens bist Du immer stiller geworden. Aus Deinem umwerfenden Lachen von früher ist langsam ein freundliches Lächeln geworden – ein Zeichen Deiner Einsicht, dass Deine altersmüden Ohren nicht mehr alles hören mussten, was rund um Dich gesagt worden ist.

Lebe wohl, Hugo!

Und doch war Dein Interesse am Gang der Welt ungebrochen. Nicht vorstellbar ein Morgen ohne internationale Radionachrichten und ein Vormittag ohne Zeitungslektüre. Wie oft habe ich auch bewundert, welch top-aktuelle Bücher bis zuletzt den Weg zu Dir gefunden haben. 

Und als wir miteinander zu einem großen Fernsehgespräch angetreten sind, da habe ich Dir, ehe die Scheinwerfer zu leuchten begannen, noch schnell zugeflüstert: „Worüber möchtest Du gerne reden?“ Deine Antwort war unglaublich – vor allem für eine Mann Deines Alters: „Ganz egal“, hast Du gesagt, „alles ist interessant!“

Nur wenige Tage nach Deinem 94. Geburtstag, den wir noch mit einem Glas Champagner gefeiert haben, bist Du „zur Stärkung“ ins Krankenhaus eingezogen – und hast es nicht mehr verlassen. Bis Du eingeschlafen bist.

Was ich seither erlebt habe, das kenne ich bisher nur vom Heimgang des unvergesslichen Kardinal Königs: Es ist ein so enormes Ausmaß an öffentlichem Respekt und Bewunderung, hinter dem ich eine weit stärkere Sehnsucht nach Vorbildfiguren zu spüren glaube, als wir in unserer härter gewordenen Zeit vermuten würden.

Für diese Erkenntnis bin ich - gemeinsam mit den Deinen - trotz aller Trauer dankbar und stolz:

- Stolz auf unsere Landsleute – für ihren Respekt und ihre Zuneigung.

- Und enorm dankbar für Dein Leben, für Dein Denken und Wirken, für Dein Vorbild ­- und dankbar für Deine Freundschaft!

Lebe wohl, lieber Hugo!    

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