Expedition Europa

Behördenfehler mit ungeahnten Folgen

APA/AFP/ANP/REMKO DE WAAL
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Wie die „Kinderzuschlagsaffäre“ in den Niederlanden für Kindersegen sorgte.

Ich hatte die Niederlande als einen hocheffizient geführten Staat kennengelernt. Die Gemeinden etwa, die meist so groß sind wie in Österreich ein ganzer Bezirk, werden von Großämtern verwaltet, auf denen man eine Nummer zieht. Die „Kinderzuschlagsaffäre“ warf ein anderes Licht auf Holland: Etwa 26.000 Familien wurden ungerecht des Sozialbetrugs beschuldigt, das Finanzamt zwang die Empfänger, alle Kinderzuschläge zurückzuzahlen. Da es sieben Jahre dauerte, bis das Systemversagen der Steuerbehörde bekannt wurde, verbrachten die Betroffenen sieben Jahre in Scham und Schulden. Sie waren als Sozialbetrüger gebrandmarkt. Oft glaubten ihnen die engsten Angehörigen nicht, Holländer vertrauen auf die Qualität ihrer Behörden. Einige dieser Familien zerbrachen.

Die Regierung trat im Jänner wegen der Affäre zurück, zwei Monate vor der Wahl war das ein rein symbolischer Akt, und versprach eine Entschädigung von pauschal 30.000 Euro. Die Wahl am 17. März ging aus, als wäre nie etwas gewesen: Die rechtsliberale VVD von Premier Mark Rutte gewann sogar einen Sitz dazu, ihre wohlhabenden Wähler waren nicht betroffen. Obwohl in der Koalition nur der Christdemokrat Pieter Omtzigt für das Recht der Erniedrigten gekämpft hatte, verlor seine CDA Mandate.

Ich wollte eines der Opfer kennenlernen und wählte Mariska Schols. Die Mutter von fünf Kindern führt im Limburger Städtchen Elsloo „De Kaaserij“. Wir redeten in dem kleinen Käsegeschäft, zwei kleine Kinder spielten und malten hinter der Budel, die älteren drei waren in der Schule. Der Rechtspopulist Geert Wilders stammt aus Limburg, Limburg ist seine stärkste Bastion, und da der behördliche Kampf gegen Sozialbetrug durch Ausländer nach meiner Wahrnehmung auch auf ihn zurückging, fragte ich sogleich nach Wilders. Schols antwortete kategorisch: „Das ist nicht die Schuld von Wilders.“ Ich hörte Respekt für Antisystempolitiker heraus, Dankbarkeit für „den Retter der Eltern“ Omtzigt und auch einen Schuss Corona-Skeptizismus. Schols erklärte das Wahlergebnis so: „Die Leute, die viel Geld haben, wollen Rutte haben.“ Wenn eine Person etwas von ihr Gesagtes „nie gesagt oder vergessen hat“, spreche man in-zwischen vom „Rutte-Syndrom“. Wählen, sagte sie, geht sie nicht mehr, „es wird doch immer Rutte gewählt“.

Da sie hingefallen war, hatte Schols eine Hand verbunden, so durfte sie keinen Käse verkaufen. Denn: „Das Hygieneamt ist kein Spaß, das Finanzamt ist kein Spaß, die Gemeinde ist kein Spaß.“ Die Niederlande seien, auch wenn das im Ausland keiner glaubt, ein „zutiefst bürokratisches Land“. Wegen dieser Bürokratie gebe es kaum Limburger Käse, jeder Käselaib „muss seinen Käsestempel haben“, jede Käsesorte werde von einem ganzen „Rechtsgebäude“ geschützt. Die Bürokratie handle nach der Devise: „Es ist immer der Bürger schuld.“

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