Sozialpolitik

Österreich lehnt EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen ab

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FRANCE-AGRICULTURE-MAY DAYAPA/AFP/SEBASTIEN SALOM-GOMIS
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Der zuständige Minister sowie die Landesregierungen von Vorarlberg und Oberösterreich sprechen der EU die Kompetenz für Lohnpolitik ab.

Wenige Tage vor dem ersten EU-Gipfeltreffen seit vier Jahren, das ausdrücklich Fragen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gewidmet ist, macht Österreich seine Ablehnung eines arbeitsmarktpolitischen Hauptprojekts der Europäischen Kommission klar. Im EU-Unterausschuss des Nationalrats gab am Dienstag Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) zu Protokoll, dass er die Union für rechtlich nicht befugt halte, die Setzung von Mindestlöhnen mittels Richtlinie gesetzgeberisch zu regeln.

„Insbesondere auch in Bezug auf die Rechtsgrundlage wird der Richtlinienvorschlag als problematisch erachtet“, hält das Arbeitsministerium in einer Stellungnahme fest. Minister Kocher warnte am Dienstag vor „nicht unerheblichem Umsetzungsbedarf“ und einer „potenziellen Gefährdung der Sozialpartnerautonomie“. Eine rechtlich unverbindliche Empfehlung der Kommission sei dieser Gesetzgebung vorzuziehen.

EU-Rechtsdienst skeptisch

Auch die Landtage Vorarlbergs und Oberösterreichs lehnen den Vorschlag ab, weil sie in ihm einen Eingriff in die Lohnfestsetzung sehen. Der oberösterreichische Landtag erachte den Vorschlag vom 28. Oktober vorigen Jahres „in erheblichem Ausmaß als kompetenzwidrig“, heißt es in einer Stellungnahme an den Bundesrat vom 12. Dezember. „Die Erlassung einer solchen Richtlinie würde ohne ausreichende Rechtsgrundlage erfolgen und die primärrechtlichen Regelungsschranken der Union zulasten der Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner überschreiten.“ Ähnlich tönt es aus Bregenz. „Es wird festgestellt, dass der Richtlinienvorschlag in weiten Teilen EU-kompetenzrechtlich nicht gedeckt ist“, teilte der Landtag dem Bundesrat am 9. Dezember mit.

Was ist der Stein des Anstoßes? Die Kommission vertritt den Standpunkt, dass Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) es ihr erlaube, Regeln für die Lohnfestsetzung zu schreiben. Dieser Artikel listet unter dem Kapitel „Sozialpolitik“ jene Gebiete auf, in denen die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten „unterstützt und ergänzt“. Darunter finden sich unter anderem die Arbeitsbedingungen – ausdrücklich aber nicht das Arbeitsentgelt. Argument der Kommission: „Da im Vorschlag keine Maßnahmen mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Höhe des Arbeitsentgelts enthalten sind“, seien die Kompetenzen klar eingehalten worden.

Dem widersprechen neben Österreich mehrere Mitgliedstaaten, darunter auch Dänemark und Schweden, die auf eine lange Tradition der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit zurückblicken. Denn die Richtlinie berge das Risiko, in die Höhe von Löhnen und Gehältern einzugreifen. Darauf weist auch ein Gutachten des juristischen Dienstes des Rates hin, das am 9. März erstellt wurde. Es liegt der „Presse“ in Teilen vor. Der Rechtsdienst stellt zwar dem Vorschlag als Ganzem die Unbedenklichkeit aus – nicht aber seinem Artikel 6. Dieser sieht vor, dass die Mitgliedstaaten für bestimmte Gruppen „unterschiedliche Sätze des gesetzlichen Mindestlohns zulassen“, wobei sie „diese Variationen auf ein Minimum“ beschränken und sicherstellen, „dass sie in jedem Fall diskriminierungsfrei, verhältnismäßig, gegebenenfalls zeitlich begrenzt sowie objektiv und angemessen durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind“. Das sei tabu, warnt der Rechtsdienst. Artikel 6 solle geändert oder abgeschafft werden.

Wie sich der Minister im Rat positionieren wird, ist unklar. Der Neos-Abgeordnete Gerald Loacker beantragte, dass der Ausschuss Kocher bindend anweise, sich im Rahmen der EU für die Beibehaltung des österreichischen Kollektivvertragsmodells einzusetzen. Das wurde mit den Stimmen der ÖVP und der Grünen abgelehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2021)

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