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Aliens beim Friseur

Das Volk verlangt nach körpernahen Dienstleistungen. Meine Haare sehen das auch so. Der Entschluss ist gefasst.
Das Volk verlangt nach körpernahen Dienstleistungen. Meine Haare sehen das auch so. Der Entschluss ist gefasst.Martin Parr/Magnum/picturedesk
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Die Schere der Friseurin macht sich über mein Haar her, und sie erzählt mir währenddessen von ihrem Schwager, der vor zwei Jahren von einem UFO entführt worden ist. „Sehr nette Leute, die Außerirdischen. Ausgesprochen tolerant.“

Die Regierung hat es nicht hingekriegt. Die größten Therapeuten der Nation auch nicht. Sogar das österreichische Kabarett hat versagt. Dabei, das böse Virus für Heiterkeit sorgen zu lassen. Ein paar Versuche gab es ja. Etwa: „Hier spricht Ihr Kapitän auf dem Flug von Wien nach New York – ich arbeite heute von zu Hause aus.“ So wie die Pandas im indischen Zoo, die endlich frei von Zuschauern derart ausufernden Sex hatten, dass der Zoo-Direktor behauptete, das Wort Pandemie käme von diesen phlegmatischen Zotteltieren. Aber sonst?

Dabei wartet das Lachen praktisch gleich um die Ecke. Neulich sagte mir ein Blick in den Spiegel, was auch meine Nachbarin bestätigte: „Wenn Sie sich die Haare noch länger wachsen lassen, sehen Sie aus wie ein Künstler. Das wollen wir doch nicht, oder?“ Nein, wollen wir nicht! Der Zeitpunkt war goldrichtig. Man erlaubte uns endlich, die Gnade der Schere entgegenzunehmen, und meine Friseuse hatte gerade einen Termin frei. Sie kommt vom Balkan, was ihr eine gewisse Lockerheit verleiht, die Begrüßung ist herzlich: „Brauchst kein Freitest, willst du dafür Glas Prosecco?“ Klar. Und schon ist es fast wie in alten Zeiten. Ihre Schere macht sich über mein Haar her, und sie erzählt von ihrem Schwager, der vor zwei Jahren von einem UFO entführt worden ist. „Sehr nette Leute die Außerirdischen. Ausgesprochen tolerant.“ „Wen wundert's“, stimme ich zu. Ist ja höhere Kultur.

Meine Frisur sieht bald auch außerirdisch aus. Auf der einen Seite bin ich rechtsradikal kurz, auf der anderen triumphiert das Langhaar eines Zuhälters aus den Siebzigern. Bloß jetzt keine Covid-Cobra, die den Laden hochnimmt! Wenn ich so vor den Richter komme, kriege ich ein halbes Jahr extra. „Wir haben eine gewisse Diskrepanz auf meinem Kopf“, weise die Meisterin hin. Sie schenkt Prosecco nach mit den Worten: „Habe auch Whiskey zwischen den Shampoos versteckt.“ Ich zerfließe in slawischer Nostalgie. Wo sind die guten alten Zeiten, als verzweifelte Kenner der Materie in Warschau mangels Wodka zum Brennnessel-Shampoo auf Weingeistbasis griffen!

Nach einem Whiskey sieht man immer gut aus. Und schneidet die kroatische Göttin ein Ohr ab, merke ich es erst am nächsten Tag. Die nächste halbe Stunde gehört dem Alkohol und der Zusammenfassung wichtigster Ereignisse. Schließlich hat sich so einiges angesammelt: Da wäre die Sorge um den stets adrett frisierten Bundeskanzler, der die Bürde des Regierens trägt, wo er sich doch 24 Stunden pro Tag um sein Smartphone kümmern muss. Von den wütenden Schauspielern nicht zu reden, die sich empört zur Viruslage meldeten, weil fehlende Bühnenluft bei ihnen einen Sauerstoffmangel auslöste. Und da wäre noch die Frau aus der Nachbarschaft, die mit einem Zwei-Meter-Stock den Abstand zwischen den Passanten misst und jedem eins überbrät, der sich nicht daran hält. „Fertig“, sagt die Friseuse. Ich sehe aus wie ein polnischer Ministrant. Alles besser als ein Künstler.

Vielleicht noch ein bisschen bleiben, schlägt die Friseuse vor, Fabio kommt gleich. Aber gern. Jeder Vorwand ist gut. Auch wenn er Fabio heißt. Was macht Fabio so? Ach, toller Mann. Sorgt für das seelische Gleichgewicht. Davon kann man heute nicht genug kriegen. Seelisches Gleichgewicht? Nur her damit. Mir geht es im Moment überhaupt erstaunlich gut. Der Prosecco hat mit dem Whiskey in meinem Magen Frieden geschlossen. Sogar meine Frisur fängt an, mir zu gefallen. Als wäre es nicht genug, lächelt mir vom Titelblatt der Illustrierten Brad Pitt zu und versichert in neongelben Buchstaben: „Ich habe Angelina kein einziges Mal geschlagen!“ Darunter weint Adele vor Glück, weil sie dreißig Kilo abgenommen hat. Die Welt ist ein Karussell.

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