Seit 100 Jahren ist das Burgenland ein Teil Österreichs: Kann man die Geschichte eines Landes anhand einer Biografie erzählen? Einen Versuch ist es wert: über meinen Großvater, der im selben Jahr zur Welt kam wie Österreichs jüngstes Bundesland.
Im Jahr, in dem das Burgenland gewissermaßen zur Welt oder wenigstens zu Österreich kommt, wird auch er geboren: am 12. Dezember 1921. Er ist das erste Kind von Johanna und Lukas Prior. Drei Buben und zwei Mädchen werden es bis 1928 sein, Thomas, Jakob, Agnes, Paul und Helene, die alle Heli nennen.
Daheim in Klingenbach/Klimpuh, das vor einem Jahr noch an Österreich grenzte und nun an der Grenze zu Ungarn liegt, wird Kroatisch gesprochen. Äpfel und Hühner im Garten. Wenig Platz im Haus. Ein Holzofen in der Küche. Nachts alle in einem Zimmer, eingehüllt in eine dicke Tuchent. Morgens, beim Ausatmen, den kalten Hauch vor Augen.
Am 30. Jänner 1927 marschiert der Vater, otac, mit anderen Männern hinüber nach Schattendorf. Der fünfjährige Thomas weiß nicht, was Schutzbündler und Frontkämpfer sind, aber er sieht den Schrecken im Gesicht des Vaters, als der wieder nach Hause kommt.
„Die haben auf uns geschossen“, sagt der Vater. Der Csmarits Matthias, ein Kriegsinvalide aus dem Dorf, und ein Bub aus Schattendorf seien tot. Die Mutter, majka, schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Ein halbes Jahr später, nach dem Freispruch für die Schützen, brennt der Justizpalast in Wien.
Der Vater fährt mit dem Fahrrad täglich 20 Kilometer nach Neufeld, um dort nach Braunkohle zu graben. Als die Nachfrage sinkt, werden zunächst jene entlassen, die keine Einheimischen sind, auch er. Alsbald schon wird aus dem Bergwerk ein Badesee werden. Immer wieder sucht der Vater Arbeit. Für die Dauer einer Rübensaison kommt er in der Zuckerfabrik im benachbarten Siegendorf/Cindrof unter. Danach ist er wieder arbeitslos.