Die glückliche Tomate

Vor über zehn Jahren hat ein Nachbar den Muttertag gerettet. Danke, lieber Winfried! ✒

Es war Gudrun, die mich vorwarnte. Ein Anruf von Mutter zu Mutter kurz vor unserem Feiertag, um das Schlimmste zu verhindern: Gregors Tomatenstaude – also eher: das Tomaten-Stäudchen – war nämlich fast vertrocknet! Die Kinder hatten welche in der Schule gezogen, eine entzückende Idee der Lehrerin, einmal nichts Gebasteltes, etwas Lebendiges, in einem bunt bemalten Tontopf. Das Problem war nur, dass sie die Pflanzen zu früh mit nach Hause genommen hatten (warum eigentlich?), nun ließen sie kollektiv die Blätter hängen, denn praktisch alle Kinder hatten, so ohne Aufsicht, aufs Gießen vergessen.

„Ich habe sie gerade noch rechtzeitig im Schrank gefunden!“

Ich war in Panik. Ich stellte mir Hannah vor, die mich am Morgen überraschen will. Während wir Eltern noch schlafen, bereitet sie alles vor, tapst zu ihrem Versteck, voller Stolz, und dann . . . Aaah! Eine in Tränen aufgelöste Hannah, die in unser Zimmer stürmt, in unsere Kissen weint, die verzweifelt ist, weil sie mir eine Freude machen wollte.

Dieser Muttertag! Hat mich als Kind verfolgt und jetzt schon wieder!

Ich machte mich also auf die Suche, stellte die ganze Wohnung auf den Kopf, fand Socken im Bücherregal, einen angebissenen Apfel unterm Bett und den lang vermissten Locher, allerdings nichts Grünes. Das war nämlich – tadaa – gar nicht da, Hannah hatte es beim Nachbarn versteckt. Und der hat einen grünen Daumen.

Die Tomatenstaude ist irgendwann eingegangen. Damals konnte ich noch nicht so mit Pflanzen. Den Topf gibt es aber noch immer. Derzeit beherbergt er Kapuzinerkresse, die hoffentlich bald zu blühen beginnt. ⫻

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2021)

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