Leitartikel

Teflon-Johnson und sein gespaltenes Land

 Die Kluft zwischen den einstigen Brexit-Gegnern und Brexit-Befürwortern hat sich nicht geschlossen.
Die Kluft zwischen den einstigen Brexit-Gegnern und Brexit-Befürwortern hat sich nicht geschlossen.(c) imago images/NurPhoto (Ewan Bootman via www.imago-images.de)
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Das gute Ergebnis der Konservativen bei den Regionalwahlen entschärfte nicht die tickenden Zeitbomben in Nordirland und Schottland.

Boris Johnson hat vorerst gut lachen. Die kleinen und größeren Skandale rund um seine Dienstwohnung und seine geschmacklosen Äußerungen zu Coronatoten haben ihm nicht geschadet. Bei den Regionalwahlen vergangene Woche fuhr er einen Achtungserfolg ein, konnte im Wahlkreis des nordenglischen Hafenstädtchens Hartlepool sogar der Labour-Partei eines ihrer traditionellen Mandate abringen. Vorerst sitzt er also wieder sicher im Sattel. Ungeachtet der hohen Todesrate in der Coronakrise punktete er vor allem mit dem gut funktionierenden Impfmanagement.
Doch die Regionalwahlen, die auf dem ersten Blick auch wegen der Krise der Labour-Partei für die Konservativen so positiv ausfielen, zeigen auf den zweiten Blick ein tief gespaltenes Land. Die Kluft zwischen den einstigen Brexit-Gegnern und Brexit-Befürwortern hat sich nicht geschlossen. Und ungeachtet der stabilen Mehrheit für die Tories tickt in zwei wichtigen Teilen – in Nordirland und Schottland – eine historische Zeitbombe.

Nordirland brennt wieder: Der alte Konflikt zwischen katholischen Anhängern einer Vereinigung mit der Republik Irland und den protestantischen Unionisten ist nach dem Brexit neu entflammt. Jetzt rächt sich, dass Johnson in seinem populären, aber unverantwortlichen Bekenntnis für einen Hard Brexit keine Rücksicht auf die britische Provinz nahm. Nordirlands Protestanten fühlen sich im Stich gelassen. Ihre paramilitärischen Gruppen, gepaart mit kriminellen Banden, zeigen Bereitschaft zu neuen Gewaltaktionen. Während Johnson versucht, die Verantwortung für neue Warenkontrollen in der Irischen See auf Brüssel abzuschieben, sieht die katholische Bevölkerung erstmals eine Chance nahen, die Insel wiederzuvereinen.

Wäre die Tory-Regierung statt radikal antieuropäisch etwas pragmatischer gewesen, hätte ganz Großbritannien im Binnenmarkt mit den ehemaligen Partnern verbleiben können: Das Nordirlandproblem wäre nicht akut geworden. Dann hätte es weder Warenkontrollen an der inneririschen Grenze, die laut Karfreitagsabkommen ausgeschlossen sind, noch in der Irischen See gegeben.

Nicht anders in Schottland. Das Beharren auf einer völligen Trennung von der EU hat der Unabhängigkeitsbewegung in diesem europafreundlichen Teil Großbritanniens Auftrieb gegeben. Selbst wenn es der regierenden Schottischen Nationalpartei bei dieser Wahl nicht gelungen ist, die absolute Mehrheit zu erlangen, im künftigen Regionalparlament haben die Befürworter einer Trennung von London die klare Mehrheit. Und diese Mehrheit aus SNP und Grünen wird weiterhin die Loslösung vorantreiben. Der Hard Brexit hat in Belfast wie in Edinburgh die Stimmung verschärft. So wie die nordirischen Protestanten fühlen sich auch viele Schotten von Johnson verraten.

Es wäre kurzsichtig, aus der Position eines Proeuropäers zu hoffen, dass sich Nordirland und Schottland nun rasch von Großbritannien lösen und sich wieder voll und ganz der EU anschließen. Denn dieser Prozess würde ohne verantwortungsvolle Begleitung von neuen Konflikten und Chaos begleitet. So wie Nordirland ist auch Schottland gespalten, in eine Bevölkerung, die in der britischen Gesellschaft und Wirtschaft fest verankert ist, und eine, die von einer souveränen Zukunft träumt. Ohne Vorsicht brechen nicht nur alte Konflikte auf, es könnte eine tiefe neue Kluft entstehen.

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