Mein Dienstag

Niemandland

Frances McDormand, Nomadland (2020) Credit: 20th Century Fox / The Hollywood Archive Los Angeles CA PUBLICATIONxINxGERxS
Frances McDormand, Nomadland (2020) Credit: 20th Century Fox / The Hollywood Archive Los Angeles CA PUBLICATIONxINxGERxSimago images/Cinema Publishers C
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Heimliche Leidenschaften, die nur für einen selbst Bedeutung haben. Jeder kennt sie, jeder pflegt sie. Ein bisschen Exklusivität im Niemandland.

Es gibt da diese Szene in dem Film „Nomadland“, der bei den Oscars abgeräumt hat. Die wohnungslose Frances McDormand („I‘m not homeless, I‘m just houseless“) spricht über ihr früheres Haus, das sie mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann bewohnte. Es sei nichts Spezielles gewesen, sagt sie. Ein kleines schlichtes Haus mit einem Hinterhof, von dem aus sie kilometerweit in die Ferne blicken konnte – bis zu den verschneiten Bergen am Horizont. Während sie in Erinnerungen schwelgt und von der Sehnsucht überwältigt wird, bricht es aus ihr heraus. Doch, es sei sehr wohl etwas Spezielles gewesen, weil es ihr Freiheit und Unabhängigkeit vermittelt habe. So speziell, dass sie seither – zum Unverständnis ihrer Verwandten – lieber in einem Minibus lebt, als in ein neues Haus zu ziehen. Eine Szene gegen Ende des Films lässt erahnen, warum sie ihrem Hinterhof nachtrauert.

Jeder kennt das – sich für etwas zu begeistern, das man mit niemandem teilen kann. Eine Leidenschaft zu pflegen, die nur für einen selbst einen Wert hat. Ein Ritual zum Beispiel, ein Hobby oder eine Sammlung, über die man ungern redet. Wer würde schon damit hausieren gehen, dass er an Sonntagen um sechs Uhr Früh in die Bäckerei geht, weil um diese Zeit die Öfen ausgeräumt werden und ihn der Duft an die Sonntage als Kind erinnert, als zu Hause Brot gebacken wurde? Wer soll Verständnis und Sympathie für so jemanden aufbringen? Oder für Leute, die immer noch DVDs kaufen, weil sie dadurch jene Abende in Videotheken hochleben lassen, an denen sie zum ersten Mal in Kontakt mit dem Medium Film kamen; die eine Stunde lang ans andere Ende der Stadt fahren, um Tennis zu spielen, weil sie dort ihr erstes Turnier gewonnen haben; die auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag einen Umweg nehmen – in der Hoffnung, eine bestimmte Person zu grüßen.

Sie alle gehen heimlichen Leidenschaften nach und erfinden Gründe, um nicht darüber sprechen zu müssen. Nicht, weil sie ihnen unangenehm sind, sondern weil sie sonst an Bedeutung verlieren würden. Das Verborgene macht den Reiz aus. Eine künstlich erzeugte Exklusivität in einer Welt, in der man ein Niemand ist.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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