„Der letzte gewählte Bürgermeister“

(c) Michaela Bruckberger
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Der liberale Intellektuelle Jawlinskij über die autoritäre Absetzung Luschkows. Die Absetzung bewertet er als Versuch der derzeitigen russischen Führung, „unbegrenzte Kontrolle in Moskau“ auszuüben.

Wien (som). Es muss schon etwas Außergewöhnliches passiert sein, wenn der bekannte russische Liberale Grigorij Jawlinskij den geschassten Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow in Schutz nimmt. Denn eigentlich haben die beiden nicht viel gemein – Luschkow, der dem Kreml jahrelang die Treue schwor, und Jawlinskij, Gründer der Kreml-kritischen Oppositionspartei „Jabloko“.

Trotz Kritik an Luschkows Führungsstil und der bekannten Korruptionsvorwürfe sei dieser die „letzte gewählte politische Figur mit Rückhalt im Volk“ gewesen, erklärte Jawlinskij, dessen Partei von 1993 bis 2003 in der Staatsduma vertreten war; einen späteren Einzug hat sie stets verfehlt. Die Absetzung Luschkows bewertet Jawlinskij, den das Liberale Forum gestern zu einer Diskussion nach Wien geladen hatte, denn auch als Versuch der derzeitigen russischen Führung, „unbegrenzte Kontrolle in Moskau“ auszuüben. Moskau, das sei bekanntlich „der Schlüssel zu Russland“.

Warten auf den Unbekannten

Einen neuen gewählten Moskauer Bürgermeister, wie es Luschkow noch war, der autokratische Altgediente aus den Tagen Jelzins, wird es nicht mehr geben. Denn seit der Präsidentschaft Putins werden Gouverneure nicht mehr gewählt, sondern ernannt. Auch der Nachfolger des in Ungnade gefallenen Luschkow werde inthronisiert, ohne Mitbestimmung des Volkes, so der Wirtschaftswissenschaftler. „Noch kennt ihn niemand.“ Ein stromlinienförmiger „Freund“ der Regierung werde das Amt bekommen, prognostiziert Jawlinskij.

Denjenigen, die in der Absetzung des langjährigen Oberbürgermeisters einen Schachzug Medwedjews gegen Putin sehen, widerspricht er. „Zwischen Medwedjew und Putin gibt es keine Unterschiede“, meint der frühere Jabloko-Vorsitzende. „Der eine redet einfach mehr von Modernisierung, der andere mehr von Wirtschaftswachstum.“

Während Jawlinskij für demokratische Veränderungen im derzeitigen „autoritären“ Russland wenig Raum sieht, hofft er auf Unterstützung von außen. Europa sollte seinen Dialog mit Russland ernster nehmen – und dabei die Opposition nicht aus dem Blickfeld verlieren. „Derzeit redet man nur mit dem Kreml.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2010)

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