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"The Underground Railroad": Per Eisenbahn aus der Sklaverei

scar-Preisträger Barry Jenkins (in der Mitte) arbeitet sich in „The Underground Railroad“, seinem Debüt als Serienmacher, an der Geschichte der Sklaverei ab.
scar-Preisträger Barry Jenkins (in der Mitte) arbeitet sich in „The Underground Railroad“, seinem Debüt als Serienmacher, an der Geschichte der Sklaverei ab.Amazon
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Barry Jenkins entfaltet in „The Underground Railroad“ ein episches Panorama schwarzer Entrechtung. Doch der Zehnteiler ächzt unter seinem Stilwillen. Auf Amazon.

Er zog weiter mit großer Vorsicht, in Erwartung, beobachtet zu werden, erreichte bald Newcastle, versteckte sich in einem Holzlager, alarmiert von einem Mann, der bei seinem Anblick davonlief. Doch hier endeten seine größten Erschwernisse. Bald ließ er Newcastle hinter sich und setzte seine Reise unbehelligt fort. Zwei Wochen war er unterwegs von Va. nach Pa. Wir schickten ihn weiter nach Syracuse.“

So endet eine von vielen Notizen aus Sydney Howard Gays „Record of Fugitives“, in denen der New Yorker Abolitionist Erfahrungsberichte geflüchteter Sklaven festhielt. Gay wirkte mit an der „Underground Railroad“ – einem weitverzweigten, informellen Netzwerk, das im 18. und 19. Jahrhundert entrechteten Afroamerikanern half, unbemerkt aus dem Süden in den vergleichsweise sicheren Norden zu gelangen.

Staatstragendes Serienprojekt

Ein Sinnbild des Widerstands gegen die Sklaverei, das durch den Aufarbeitungsschub im Kielwasser von Black Lives Matter an Strahlkraft gewonnen hat – auch in der Popkultur. Bereits 2016 griff eine Serie („Underground“) den Themenkomplex auf, 2019 nahm Jordan Peeles Polithorror-Hit „Us“ Bezug darauf. 2020 erhielt ein Film über Harriet Tubman, Galionsfigur des Befreiungsverbunds, zwei Oscar-Nominierungen. All das wirkt nun wie ein Trommelwirbel für eine Serienproduktion, an die im US-Mediendiskurs fast schon staatstragende Erwartungen geknüpft werden: Barry Jenkins' „The Underground Railroad“.

Jenkins, seit dem Oscar-prämierten Drama „Moonlight“ (2016) eine Schlüsselfigur des jüngeren schwarzen Kinos, nähert sich dem Stoff über ein Werk mit literarischem Sanktus: Colson Whiteheads gleichnamiger Pulitzer-Roman entfaltet ein genreübergreifendes Unrechtspanorama, inspiriert von Frederick Douglass, „Gullivers Reisen“ und Stephen King. Die „Railroad“ ist darin eine buchstäbliche Eisenbahn, Amerika ein heulendes Gespensternest.

Jenkins bleibt diesem Grundkonzept treu. Und beginnt mit einem Ausbruch. Cora (eindringlich: Südafrikanerin Thuso Mbedu) wurde von ihrer Mutter auf einer Baumwollplantage in Georgia zurückgelassen. Die Gewalt gegen Sklaven nimmt stetig zu. Nachdem ein Renitenter als Exempel ausgepeitscht und verbrannt wird, ergreift die junge Frau mit einem Leidensgenossen die Flucht. Da gibt es einen Tunnel mit einer Lokomotive, die nordwärts fährt. Doch der Weg in die Freiheit ist steinig – und ein unerbittlicher Sklavenjäger namens Ridgeway (Joel Edgerton) hat sich an Coras Fersen geheftet. Was klingt wie ein Thriller, mutiert unter Jenkins' Ägide zu einer mäandernden Meditation über den historischen Kampf zwischen Gut (Gleichheit) und Böse (Rassismus). Die zehn Stationen der Miniserie schildern verschiedene Formen der Sklaverei im Laufe der US-Historie, von fanatisch bis jovial. Und zeichnen Ridgeway, der sich einen schwarzen Buben als Handlanger hält, als Gefallenen – voller Wut auf seine Unfähigkeit, dem „Great Spirit“ seines gütigen Vaters (Peter Mullan) gerecht zu werden.

Weitschweifiger Kalvarienweg

Die Freiheiten, die sich Jenkins ästhetisch nimmt, sind erstaunlich. Er inszeniert Coras Kalvarienweg wie eine düstere Traumreise, zerdehnt die Erzählung bis zur Entrückung. James Laxtons Kamera schwebt durch die Luft wie ein Phantom, Nicholas Britells Orchestersoundtrack wogt und bebt. Stimmung trumpft Handlung: Einzelne Folgen sind pure Avantgarde, der innige Blick in die Linse ist ein zentrales Leitmotiv.

Doch für den beiläufigen Konsum auf Amazon eignet sich diese ambitionierte (und immer wieder auch schwerfällige) Odyssee nur bedingt. Paradoxe Ironie: Nur der erweiterte Rahmen der Serienform macht Jenkins' weitschweifigen, experimentellen Zugang möglich. Aber die atmosphärische Dichte von „The Underground Railroad“ heischt konzentrierte, intensive Wahrnehmung. Und die kann einem letztlich nur das Kino bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2021)

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