Zoologie

Winzige Wespen kleiden Nester mit Seide aus

Die Quartinia-Wespe lebt in Wüsten und an Küsten.
Die Quartinia-Wespe lebt in Wüsten und an Küsten.Volker Mauss
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Am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien wurde erstmals die Seidenproduktion von Pollenwespen untersucht: Die wenige Millimeter großen Insekten festigen mit dem endlosen Faden Neströhren im losen Sand. Bei ausgewachsenen Insekten sind Spinndrüsen seltener als bei Larven.

„Es ist überraschend, dass vor uns niemand diese Strukturen erforscht hat“, erzählt Dominique Zimmermann, Kuratorin der Hautflügler-Sammlung des NHM Wien. Immerhin gehören weltweit 140 der 300 Pollenwespenarten zur Gattung Quartinia, und diese besitzen einen sichtbaren Fortsatz in der Mundregion. „Ein Insektenforscher hat 1932 einmal erwähnt, dass es bei Quartinia einen hellen Fortsatz am Unterkiefer gibt, aber das war es schon“, fasst Zimmermann den bisherigen Wissensstand zusammen. Sie wurde 2016 bei einer Tagung vom Pollenwespen-Spezialisten Volker Mauss aus Stuttgart angesprochen, ob sie sich als Insekten-Anatomin einmal diese kleinen Wespen genauer ansehen könne. Denn Quartinia-Wespen machen ganz besondere Sachen: Sie spinnen Seide, um Neströhren in losem Sand zu bauen.

„Bei der Literatursuche über die Morphologie der Pollenwespen, die zwei bis sieben Millimeter klein sind und in Wüstengebieten leben, fanden wir zwar einiges über die Genitalstrukturen. Aber ins Gesicht hat den Wespen vorher kaum jemand so genau geschaut“, schmunzelt Zimmermann.

Nur Volker Mauss wollte es genauer wissen. Als Biologielehrer und ehrenamtlicher Mitarbeiter am Naturkundemuseum Stuttgart widmet er seine Freizeit den speziellen Wespen. Er schickte Exemplare an das Naturhistorische Museum (NHM), wo Zimmermann die Mikroanatomie der Wespenköpfe mit Mikro-Computertomografie, Rasterelektronen- und Lichtmikroskopie untersuchte.

Seide ist ein Überbegriff

Seide spinnen ist für Insekten nicht ungewöhnlich: Immerhin stammt die Seide unserer Kleidung aus den Spinndrüsen von Seidenspinner-Raupen, die mit dem Material eigentlich ihren Kokon bauen. Auch viele andere Insektenlarven produzieren Seide, um den Kokon zu festigen, in dem die Metamorphose abläuft. Aber bei adulten, also ausgewachsenen Insekten ist es sehr selten: Seidenbienen sichern damit ihre Nester gegen Feuchtigkeit, eine Ameisengattung fixiert Bauteile im Nest mit solchen Substanzen.

„Seide ist ja ein Überbegriff für verschiedene Stoffe“, erklärt Zimmermann. In 23 Kategorien lassen sich die unterschiedlichen Seidenfäden aus dem Insektenreich einordnen, die alle aus proteinartiger Masse bestehen und ein Merkmal haben: Der Faden ist endlos. „Das sind keine begrenzten Fasern, sondern ein gesponnener Faden, der sich dann verfestigt.“

Zimmermann fand nun im Inneren des Wespenkopfes eine Drüsen-Ansammlung für die Seidenproduktion der Quartinia. „Dieses Drüsenpaket mündet jedoch seitlich des kleinen Fortsatzes, der wahrscheinlich zum Verteilen des Fadens dient. Wir vermuten, dass es sich wie in einigen anderen Fällen um ein Zwei-Komponenten-Gemisch handelt, das sich erst durch den Kontakt mit dem Speichel der Wespen verfestigt.“

Für genauere chemische Analysen braucht das Team gefriergetrocknete Exemplare, die nun während der Reisebeschränkungen nicht gesammelt werden konnten. Den Forschern ist aber klar, dass diese Seidenproduktion der Wespengattung geholfen hat, ungewöhnliche Gebiete zu besiedeln. Quartinia findet man nur in sandigen Böden von Wüsten, Halbwüsten und Küstendünen: Die Seidenfäden helfen den Weibchen, einen Nestgang in den Sand zu graben, ohne dass der Tunnel zusammenbricht. Sie verweben die Sandkörner mit Seide, um stabile Zimmer für ihre Nachkommen zu bauen. „Bei Männchen gibt es weder die Seidendrüsen noch den Fortsatz“, sagt Zimmermann.

Sie können ohne Wasser leben

Neben der Seidenproduktion weisen Quartinia weitere Anpassungen an den unwirtlichen Lebensraum auf: Sie können ohne Wasser überleben. Die einzige Flüssigkeit beziehen sie über den Nektar der Blüten, die sie bestäuben. „So wie viele Bienenarten sind auch die Pollenwespen oft auf gewisse Blüten spezialisiert. Die Insekten sind also auf das Vorkommen der Pflanzenarten genauso angewiesen wie die Pflanzen auf ihre bestäubenden Wespen“, betont Zimmermann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2021)

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