ORF-Journalisten über türkisen Livestream: "Eindruck politischer Wunscherfüllung"

Alte Probleme, neue Nervosität: Es steht die Wahl des ORF-Generals an.
Alte Probleme, neue Nervosität: Es steht die Wahl des ORF-Generals an.(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Am Samstag wurde der Bundestag der Jungen Volkspartei in der Mediathek des ORF übertragen. Das schade der „Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattung“, sagen die Redakteure.

Am Wochenende ist eine lebhafte Diskussion um die Frage entbrannt, inwieweit im ORF vor der anstehenden Wahl des Generaldirektors im August Kandidaten ihre Eignung zeigen wollen. Auslöser war die Übertragung des Bundestags der Jungen Volkspartei als Livestream in der Mediathek des ORF. Am Samstag sah man dort als wichtigsten Programmpunkt der zweistündigen Veranstaltung die Wahl der 26-jährigen Claudia Plakolm zur JVP-Chefin. Es gab aber auch einen kurzen Auftritt von Kanzler Sebastian Kurz, der von seiner Zeit bei der Jugendorganisation erzählte. Und außerdem Stellung zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn nahm.

Mit eben diesem Auftritt argumentierte auch Thomas Prantner, der stellvertretende Online-Direktor, der auch die Mediathek verantwortet. Man habe sich „aus journalistischen Gründen“ für eine Übertragung entschieden, da „wir aufgrund der aktuellen politischen Diskussion rund um eine mögliche Anklage gegen den Bundeskanzler im Interesse einer aktuellen Information des Publikums live dabei sein wollten“. Außerdem biete die ORF-TVthek generell als Zusatzservice unkommentierte Livestreams von Veranstaltungen aller politischen Parteien.

Die genannten „journalistischen Gründe“ für die Übertragung werden intern aber ganz anders beurteilt, wie der Redakteursrat am Montag schrieb: „Aus unserer Sicht gab es keinen journalistisch relevanten Grund, den Parteitag der 'Jungen ÖVP' online zu übertragen. Ein Auftritt des ÖVP-Obmanns bei dieser Veranstaltung kann jedenfalls keine Begründung dafür liefern, zumal Sebastian Kurz in den vergangenen Tagen mehrere Gelegenheiten genutzt hat, seine Sicht der Dinge darzulegen.“ Es sei „unrealistisch“ zu erwarten, dass Kurz gegenüber dem „ÖVP-Bewegungssprecher“ (und ehemaligen ORF-Moderator) Peter L. Eppinger inhaltlich Erhellendes sage.

Wer entschied über den Livestream?

Die Entscheidung zur Übertragung traf nicht die Redaktion, sondern Thomas Prantner, wie der Redakteursrat schrieb. Dessen Name wiederum wurde in den vergangenen Tagen in verschiedenen Medien wegen der anstehenden Wahl des ORF-Generaldirektors genannt. Prantner gilt als FPÖ-nahe und soll erklärt haben, dass er als „großbürgerlicher Kandidat“ für den ORF-Chefposten kandidieren werde. Zurück zur Kritik des Redakteursrats: Der führte die Aufgaben von Journalismus aus (Ereignisse beobachten, bewerten und dann relevante Fakten berichten). Bei der Veranstaltung der JVP sei das aber nicht passiert, vielmehr wurde „das von der ÖVP selbst produzierte Signal“ übertragen. Das sei völlig untragbar: „Es entsteht der Eindruck der politischen Wunscherfüllung und das schadet der Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattung.“ Die anstehende ORF-Wahl wurde vom Redakteursrat explizit angesprochen: Diese dürfe „keinen Nährboden für Kritik an unserer Berichterstattung bieten“.

Mit dem amtierenden ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der seine neuerliche Bewerbung für die Wahl am 10. August kürzlich angekündigt hatte, war die Übertragung nicht abgestimmt. Er zeigte seine Unzufriedenheit durch eine neue Anordnung: Künftig muss der Chefredakteur von ORF 2 (Matthias Schrom) oder seine Vertretung entscheiden, was per Livestream übertragen wird und was nicht. Das aktuelle Beispiel ist übrigens nicht das einzige, das in den vergangenen Wochen für Diskussionen sorgte: Ende April irritierte auch eine unerwartete „Zeit im Bild Spezial“ zum Impfthema mit ausführlichem Kanzler-Interview. Die Nervosität vor der Wahl: Sie ist jedenfalls innerhalb des ORF deutlich spürbar.

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