Roadmovie

Bei diesem Austrofilm sitzt Jim Jarmusch am Steuer

Ordinary Creatures
Ordinary Creatures(c) Stadtkino
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In Thomas Marschalls schönem Spielfilmdebüt „Ordinary Creatures“ gondelt ein Paar entspannt durch die heimische Pampa, debattiert über Gott und die Welt – und trifft allerlei schrullige Exemplare der Gattung Mensch. Eine kurzweilige Spritztour mit Tiefgang, Schmäh und Zen.

Funken stieben gen Nachthimmel, ein Schneck schnabuliert Gemüse in Großaufnahme. Glocken läuten, eine steinerne Heiligenstatue stiert wolkenwärts. Schon die ersten Einstellungen von Thomas Marschalls „Ordinary Creatures“ machen klar, dass dieser Film dem Seltsamen, Schönen und Sprunghaften zugetan ist, den kleinen Momenten und großen Gedanken. Dabei handelt es sich auf dem Papier um ein ganz gewöhnliches Roadmovie.

Ein Paar gondelt in einem alten roten Volvo durch die bewaldete Pampa zwischen Niederösterreich und Tschechien. Sie (Anna Mendelssohn): passioniert, naturverbunden, weltoffen. Er (Joep van der Geest): verschmitzt, pragmatisch, unsicher. Die beiden streiten und lieben sich, überfahren einen Hund und verdrängen die G'schicht, klauben schrullige Beifahrer auf, picknicken auf dem Wiesenteppich, schlafen im Wagen. Vielmehr an Handlung steckt nicht in den kurzweiligen 75 Minuten dieses verträumten und zurückgelehnten Kleinods, und das ist auch gut so. Die besten Reisefilme sind schließlich immer die ohne klares Ziel: Dann bleibt mehr Zeit für Zwischenstationen, Überraschungen, Begegnungen – mit einem mürrischen Mechaniker (Robert Slivovski), einem dionysischen Junghippie (Lynne Rey), einer schmähstaden Kellnerin (Filmemacherin Angela Christlieb). Dann passiert immer alles und nichts.

Fühlt sich gar nicht österreichisch an

„Ordinary Creatures“ ist ein österreichischer Film, fühlt sich aber nicht so an: Alle Figuren sprechen Englisch, oft mit charmantem Akzent. Die surreal angedudelte Stimmung erinnert an die lässigen Pikaresken Jim Jarmuschs. Auch hier verleiht Musik einer markant fotografierten Irrfahrt emotionalen Halt, übernimmt immer wieder das Steuer. Und vielleicht ist alles nur eine Allegorie, das Protagonistenpärchen ein Archetypenduo. Der Mann, der weiß, wie man Kratzer im Autolack mit Zahnpasta kaschiert, aber nervös wird, wenn seine Partnerin von Schwangerschaft spricht – und heimlich zum Gebet die Hände faltet. Die Frau, die sich um die Zukunft des Planeten Sorgen macht, die resolut und zärtlich bestimmt, wo es langgeht – sich aber nicht für eine Nachspeise entscheiden kann. Ein bisschen altbacken, dieser Geschlechterdualismus, aber gut gespielt und durchaus glaubwürdig.

Auch sonst geht es bisweilen symbolisch zu: Ein grimmiger (und trotzdem sympathischer) Verfolger kündet von Schuld und Tod, Naturaufnahmen gemahnen an das Tier im Menschen und die Willenskraft der Biosphäre, der Dialog der Reisenden verhandelt stets auch Grundsatzfragen. Regisseur Marschall studierte neben Film Anthropologie und Philosophie, drehte zuvor schon Dokumentarisches in Brasilien.

Mit „Ordinary Creatures“ legt er ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt vor, das in keine der hierzulande üblichen Schubladen passt. Am ehesten verortet man es neben eigenwilligen, unabhängigen Kunstfilmen wie Ludwig Wüsts „Aufbruch“ (2018). Wobei Marschalls Odyssee etwas publikumsfreundlicher ausfällt – und mit seinem sommerlichen Spritztourflair perfekt zu diesen vorfreudigen Öffnungstagen passt. So können auch Gastgartenmuffel die Sonne genießen, direkt im geliebten dunklen Saal.

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