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Der zum Femizid getriebene Woyzeck

Caroline Andersson
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Er entscheidet über den Literaturnobelpreis mit und schreibt selbst großartig: Steve Sem-Sandberg über seinen Roman „W“ - ein schmerzhaft ergreifendes Männerporträt.

Ein äußerst Wien-affiner Autor entscheidet heuer zum ersten Mal über den Literaturnobelpreis mit. Seit den Skandalen der letzten Jahre bemüht sich die Schwedische Akademie um Erneuerung. Und so sitzt als neueste Neubesetzung nun Sem-Sandberg darin, der in Wien gar kein Unbekannter ist: Er hat lange hier gelebt und einen Roman über die Kinder vom Spiegelgrund, „Die Erwählten“, geschrieben.

Und ja, vielleicht gäbe es ohne Wien auch Sem-Sandbergs neuen Roman „W“ nicht, der vielleicht sein bester, jedenfalls literarisch freiester ist (und das will was heißen, hat Sem-Sandberg doch schon für die „Die Elenden von Lódź“ den wichtigsten schwedischen Literaturpreis erhalten).
2013 spielte das Volkstheater 2014 das „Woyzeck“-Musical mit Musik von Tom Waits. „Es war das 13. Mal, dass ich den Stoff auf der Bühne sah, auch das Musical kannte ich schon“, erzählt Sem-Sandberg der „Presse“. „Beim Heimfahren dachte ich mir, was macht diese Figur nur so faszinierend für mich? Immer mehr begann ich über die Person hinter dem Stück, den historischen Woyzeck nachzudenken. In meiner Imagination kam er mir dann so nahe wie keine andere Figur davor, ich redete sogar mit ihm, er redete zurück.“ Diese Anziehungskraft überträgt sich beim Lesen, „W“ ist ein sprachlich beeindruckendes, inhaltlich schmerzhaft nahe gehendes, Mitgefühl weckendes Zeit- und Männerporträt, inspiriert von direkten biografischen Quellen, Zeitdokumenten – und natürlich Büchner.

Mitgefühl für den Frauenmörder?

Um wen geht es? Um Johann Christian Woyzeck, Sohn eines Perückenmachers, geboren 1780, auf dem Marktplatz von Leipzig hingerichtet 1824, die Tat: Mord aus Eifersucht. Nicht nur, aber vor allem von diesem Fall ließ sich der junge Georg Büchner zu seinem Stück „Woyzeck“ inspirieren. Und zeigte einen Menschen mit hoher Empfindsamkeit, der von der Gesellschaft geschunden und gedemütigt, von Frauen verspottet, zum Versuchsobjekt degradiert, ja letztlich auch zum Mord getrieben wird. In Zeiten sich häufender Frauenmorde übrigens eine heikle Sache: Mitgefühl für den Frauenmörder? Der männliche Täter – auch ein Opfer?

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