Österreichs Nationalparks: Hot spots der Artenvielfalt und Zankapfel

Teischschildkröte im Nationalpark Donau-Auen
Teischschildkröte im Nationalpark Donau-Auen(c) imago images/Wolfgang Simlinger (via www.imago-images.de)
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Heftige Kritik übt das „Forum Wissenschaft und Umwelt“ am konkreten Management in Österreichs Nationalparks. Und Umweltministerin Gewessler präsentierte eine Studie, die die herausragende Bedeutung von Schutzgebieten für die Artenvielfalt untermauert.

Wie wichtig sind die sechs österreichischen Nationalparks für die Artenvielfalt – sowohl in Österreich, als auch international? Das ist die Kernfrage, die sich die Autorinnen einer Studie gestellt haben, deren Ergebnis – auf 259 Seiten – am Donnerstag in Wien präsentiert wurde. Die einfache Antwort auf die Eingangsfrage des einzigartigen Berichts, der vom Umweltbundesamt zusammengestellt worden ist: Ja, sehr! Die Nationalparks spielen eine zentrale Rolle für die Artenvielfalt.

Wirklich überraschend ist das nicht, aber die Zahlen, die das belegen, sind beeindruckend. So heißt es im Bericht: „Insgesamt und inklusive ausgestorbener und gebietsfremder Arten werden von der österreichischen Wirbeltierartenvielfalt 87% bei den Säugetieren, 94% bei den Vögeln, 79% bei den Reptilien, 86% bei den Amphibien und 81% bei den Fischen von den sechs österreichischen Nationalparks abgedeckt.“

Zentrale Bedeutung der Nationalparks

Und weiter: „Die meisten Arten, die in Österreich heimisch oder überwiegend heimisch sind, kommen in den Nationalparks Hohe Tauern (99 Arten), Gesäuse (98 Arten) und Kalkalpen (58 Arten) vor.“ Insgesamt überragt dabei der Nationalpark Hohe Tauern alle anderen Nationalparks – er ist mit mehr als 180.000 Hektar aber auch der mit Abstand größte. Das Vorkommen von neun der in den Hohen Tauern lebenden Arten wurden bisher weltweit ausschließlich hier festgestellt; zum Beispiel das rotsternige Blaukehlchen.

Bei den Pflanzenarten ist die Bedeutung ebenso zentral: Trotz des geringen Flächenanteils der Nationalparks (2,8 % der Gesamtfläche Österreichs) beherbergen diese Schutzgebiete etwa 69 % der in Österreich heimischen Gefäßpflanzenarten. In jedem der sechs österreichischen Nationalparks findet sich rund ein Drittel der heimischen Gefäßpflanzenflora: Am meisten beherbergt der Nationalpark Gesäuse (mit 1049 Arten), etwas weniger Arten leben im Nationalpark Kalkalpen und im Nationalpark Hohe Tauern. Selbst der kleinste österreichische Nationalpark (Thayatal) deckt noch 853 der heimischen Gefäßpflanzenarten ab.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler bei der Präsentation des Berichts in der Universität für Bodenkultur in Wien: „Mehr als zwei Drittel der wichtigsten heimischen Arten kommen in unseren Nationalparks vor. Damit wir unsere wertvolle Natur in Österreich langfristig erhalten, arbeiten wir an der Biodiversitätsstrategie und haben den Biodiversitätsfonds um 50 Millionen Euro aufgestockt.“

80% der Arten sind noch nicht beschrieben

Aber: Es gibt auch Arten, die in keinem der Nationalparks leben und gefährdet sind. Wie überhaupt die Artenvielfalt und das Ausmaß deren Gefährdung wissenschaftlich immer noch so etwas wie eine Blackbox darstellt. Dem versuchen Wissenschaftler nun mit einem weltweiten Programm beizukommen – konkret soll dies mit dem Projekt „Lifeplan“  geschehen, das von der Universität Helsinki koordiniert wird. An mehr als 200 Standorten auf allen Kontinenten wird in den kommenden vier Jahren versucht, das Ausmaß der Biodiversität zu erfassen.

Das Umweltbundesamt beteiligt sich mit drei Standorten - in Wien, Tirol und im Reichraminger Hintergebirge in Oberösterreich. In der Meldung wird auch eindrücklich auf die Notwendigkeit solcher Forschungen hingewiesen, in der Aussendung des UBA heißt es dazu: „Rund 80% aller Tier-, Pilz- und Pflanzenarten weltweit sind noch nicht wissenschaftlich beschrieben. Von den bekannten Arten liegen zum Teil nur lückenhafte Informationen über ihre Verbreitungsgebiete vor.“

Wissenschaftler kritisieren: „Es reißen Dinge ein"

Vor dem Hintergrund dieser Fakten hat sich bereits am Dienstag das „Forum Wissenschaft und Umwelt“ (FWU) lautstark zu Wort gemeldet. Die Schutzgebiete seien gefährdet – durch Infrastrukturprojekte, aber auch durch inkonsequentes Management der Nationalparks.

Reinhold Christian, Präsident des Forums: „Es geht hier um die internationale Anerkennung der Nationalparks. Es reißen Dinge ein, die dem zuwiderlaufen.“ Was „einreißt“, ist unter anderem auch vom Rechnungshof des Bundes und vom oberösterreichischen Kontrollorgan bemängelt worden.

Jagd im Schutzgebiet

Zum Beispiel: Im Nationalpark Neusiedler See ist auf einer Fläche von 100 Hektar in der Naturzone die Jagd auf Wasserwild erlaubt. Im Kärntner Teil des Nationalparks Hohe Tauern gibt es eine Vereinbarung, die die Jagd auf Bär, Wolf, Luchs, Goldschakal und Fischotter zulässt. Christian hat über viele Jahre die Nationalparkplanung geleitet, ehe aufgrund dieser Grundlagen der Nationalpark Donauauen und der Nationalpark Thayatal auch auf politischer Ebene abgesegnet worden sind.

Robert Brunner war bis zu seiner Pensionierung der erste Nationalparkdirektor im Thayatal. Aiuch er ist Mitglied des FWU und sagt: „Tatsächlich beobachten wir zahlreiche schädigende Eingriffe. Rechnungshofberichte haben eine Vielzahl gravierender Mängel aufgezeigt.“

Seit 27 Jahren kein Manegementplan

So hat der Rechnungshof des Bundes am Neusiedler See bemängelt, dass viele illegal errichtete Brunnen nachträglich von den zuständigen Behörden genehmigt worden seien und dass die Bewässerung ausufere – mit nachteiligen Folgen für die Lacken im Seewinkel: Sie trocknen aus. „Mangelnde Aufsicht des Landes Burgendland“ erkennt der Rechnungshof auch in der Tatsache, dass 27 Jahre nach Schaffung des Nationalparks noch immer kein Managementplan existiert.

Kritisiert wird auch, dass es im Salzburger Teil des Nationalparks im Wildnisgebiet Sulzbachertäler Übungen der Bergrettung gegeben habe, im Zuge derer Hunde frei herumgelaufen seien. Das lässt Wolfgang Urban, Direktor des Salzburger Teils des Nationalparks Hohe Tauern, nicht stehen: Die Sulzbachtäler seien in einer der strengsten Schutzkategorie der IUCN (Kategorie 1b), „aber das Gebiet ist nicht völlig tabu, Skitouren zu gehen ist erlaubt. Und deshalb ist es wichtig, dass hier die Bergrettung einen Einsatz übt.“ Aber das geschehe nicht dauernd in ausschließlich einem Gebiet, sondern abwechselnd. „Und das führt dazu“, so Urban, „dass in den Sulzbachtälern vielleicht alle 15 Jahre einmal geübt wird.“

„Es sind keine menschenleere Räume"

Drehscheibe für den Erfahrungsaustausch ist der als gemeinnütziger Verein organisierte Dachverband „Nationalparks Austria“. Auf der Homepage wird dies so beschrieben: „Der Dachverband Nationalparks Austria vereint die vielstimmige Nationalpark-Landschaft zum Chor.“ Allerdings gibt es auch immer wieder in den Sitzungen gehäuftes Schweigen: Denn keiner der (jedenfalls in Fachkreisen hinlänglich bekannten) Kritikpunkte war bei der Vorbereitung der Sitzungen des Beirats wichtig genug, um von vorneherein auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Dies geschah erst, als – im laufenden meeting – ein einzelner diesbezüglicher Antrag gestellt wurde.

Peter Rupitsch, Direktor des Kärntner Teils des Nationalparks Hohe Tauern, ist derzeit Obmann des Vereins „Nationalparks Austria“. Er ist mit einem Statement zurückhaltend: „Ich kann nicht Dinge kommentieren, die in einem anderen Nationalpark geschehen. Probleme sind jedenfalls in der jeweiligen Nationalparkverwaltung zu diskutieren, nicht im Dachverband.“ In den Verwaltungen der sechs Nationalparks sitzen sowohl Vertreter der beteiligten Bundesländer, als auch des Bundes – hier ist der Raum, in dem kurz-, mittel- und langfristige Planungen und Strategien abgestimmt werden.

Ganz allgemein erinnert Rupitsch daran, dass „wir uns das Umfeld anschauen müssen, in dem sich die Nationalparks befinden. Es sind keine menschenleeren Räume, sondern es sind Gebiete, in denen Menschen seit Hunderten, Tausenden Jahren leben und wirtschaften. Wir haben da viel erreicht – das gilt für alle Nationalparks.“ Bezüglich der Jagd in den Kärntner Hohen Tauern meint er: „Es ist richtig, dass es eine Vereinbarung mit den Jägern gibt, bei Verhandlung der aktuellen war ich anfangs nicht eingebunden. Neu ist das alles aber nicht, es gibt solche Vereinbarungen, die auf zehn Jahre abgeschlossen werden, schon lange.“ Generell meint er aber, überzeugt sein zu können: „Ich bin sicher: Im Nationalpark wird kein Wolf, kein Luchs, kein Bär und kein Fischotter geschossen.“

Lobau-Tunnel gefährdet das Grundwasser

Breiten Raum in der Kritik des FWU nehmen auch die Pläne ein, die Lobau mit einem Tunnel zu queren. Dieses Autobahnprojekt kritisiert Bernd Lötsch massiv. Lötsch hat sich mit hohem Einsatz und über viele Jahre für den Schutz der Donauauen engagiert. Das „Forum Wissenschaft und Umwelt“ ist die Nachfolgeorganisation der losen Vereinigung „Wissenschaftler für den Umweltschutz“, die sich 1985 im Einsatz gegen die Fortsetzung der Wasserkraftwerkskette in Hainburg an der Donau formiert hatte.

Lötsch: „Veränderungen der Grundwasserspiegel lassen irreversible Schädigungen an Lebensräumen, Fauna und Flora erwarten. Die Lobau leidet bereits jetzt unter Beeinträchtigungen des Grundwasserregimes, dessen Funktion für Auen-Nationalparke besonders wichtig ist.“ Und Reinhold Christian ergänzt: „Diese Autobahn ist ein Überbleibsel verstaubter Verkehrsplanungen. Mit Klimaschutz ist so ein Projekt nicht vereinbar.“

Und auch jenseits der heimischen Nationalparkgrenzen lauert Ungemach: Im ungarischen Schutzgebiet am Neusiedler See werden Hotel-Projekte gestartet.

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