Der Eisberg schmilzt in der April-Sonne des Mai

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FILES-ARCTIC-CLIMATE-WARMINGAPA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND
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In wenigen Stunden passiert viel auf der Welt: Beim schnellen Überfliegen von Nachrichten bleibt eine wilde Mischung hängen.

Der Nachrichten-Check online gibt den vorangegangenen Stunden ein unregelmäßiges Aussehen. Ein riesiger Eisberg ist abgebrochen (in Österreich wird er mit der Größe des Burgenlands, in Deutschland mit der von Mallorca verglichen). Ein Flugzeug flog mit Speiseöl statt Benzin, in Belgien versteckt sich eine Art Corona-Rambo in einem Wald, Barack Obama soll eine mögliche UFO-Sichtung angedeutet haben. Und fünf Millionen Briten haben bereits einen Urlaub in Europa (gemeint ist das Festland) gebucht.

Es gibt Hunderte andere Nachrichten, aber diese bleiben hängen, was einiges über einen selber sagt. Worauf das Auge zuerst fällt, kann man zwar oft erklären, aber nur schwer ändern. So wird der eine immer nur den Fleck sehen und die andere die Farbe des Kleids. Den zusammengeknüllten Socken in der Ecke oder die neue Decke auf dem Sofa. Was man im Kühlschrank zuerst sieht, ist das, was man nicht essen will, und im Kasten liegt immer die Schokolade ganz oben.

Wie man wahrnimmt, ist laut Psychologen auch eine Frage der Generation: So könnten jüngere Menschen heute das Aussehen anderer, denen sie kurz begegnet sind, nicht so gut beschreiben wie Ältere, erfassten dafür aber in Sekundenschnelle Details und nähmen die Umgebung stärker wahr (etwa, welche Musik im Hintergrund lief). Die Wahrnehmung passiere demnach auf mehreren Ebenen gleichzeitig.

So quälend langsam vieles war, so schnell geht es nun. Der Weinstock hat in drei Tagen Blätter bekommen, die Zucchiniblüten sind vom Hagel exekutiert worden.Das Aprilwetter im Mai erinnerte zwischendurch an einen November, aber in Wirklichkeit war alles ganz anders, wissen die Kinder. Denn die Wetter-Apps seien gehackt worden (es waren tagelang ausschließlich Regensymbole zu sehen), damit die Leute eher zu Hause blieben (wegen Corona). Hat es ständig geregnet? Nein, dazwischen war es richtig schön. Oben Sonnenbrand und unten nasse Füße.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2021)

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