Naher Osten

Es wäre Zeit zum Brückenbauen

Es ist eine alte Geschichte: Des einen Freiheitskämpfer, des anderen Terrorist. Replik eines sich angesprochen Fühlenden.

Im Zusammenhang mit dem jüngsten „Gazakrieg“ sind wieder einmal altbekannte (Vor)Urteile ausgetauscht worden. Die terroristische Hamas gegen die Demokratie und Freiheit verteidigende „Israelische Verteidigungsarmee“. Zuletzt haben sich auch angesehene liberale Persönlichkeiten an diesen Diskussionen beteiligt. Natürlich auf der Seite der Guten, also auf der Seite Israels. Unter den „Querschreibern“ der „Presse“ haben sich da vor allem Andrea Schurian und Christian Ortner engagiert. Andrea Schurian hat ihrem Kommentar vom 18.5. den Untertitel „Österreichs Linke waren schon in besserer Gesellschaft“ verpasst.

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Nun, als sich angesprochen Fühlender, eine kurze Replik. Wer in in seinem Leben noch nie Fehler gemacht und/oder Beifall aus der falschen Richtung erhalten hat, der werfe den ersten Stein. Mein Eintreten für die legitimen Rechte des Palästinensischen Volkes und meine Ablehnung der israelischen Vertreibungspolitik halte ich nach wie vor für absolut legitim, auch wenn mir – wie vielen anderen Mitkämpfern – seit Jahrzehnten das Etikett des „linken Antisemiten“ verpasst wird. Wenn ich mir die Liste ähnlich diffamierter Menschen (von Einstein über Chomsky, den derzeit gerade gefeierten Erich Fried bis hin zu Bruno Kreisky) ansehe, fühle ich mich eigentlich in recht guter Gesellschaft.

Ob sich Schurian in der Gesellschaft von Menahem Begin, Yitzhak Shamir (beides gesuchte Terroristen), Ariel Sharon („Schlächter von Beirut“) wohl fühlt, mag ich nicht spekulieren. Jedenfalls sind sie für Benjamin Netanjahu und die überwiegende Mehrheit des aktuellen israelischen Establishments „Helden“. Ich würde nicht so weit gehen, Meir Kahane und seine jüngst wieder belebte Kach-Bewegung als Objekt der Bewunderung von Schurian anzunehmen. Was sie und andere aber zur Kenntnis nehmen sollten, ist die Tatsache, dass es in Israel seit Jahren „rassistische, faschistoide Schlägerbanden“ (© „Haaretz“-Kolumnist Gideon Levy) gibt, die aggressiv auftreten. Wenn da Lehava-Schläger „Tod den Arabern“ grölend durch Sheikh Jarrah stürmen, fehlen mir die Proteste der liberalen Israelfreunde in Europa. Dass Benjamin Netanjahu mit diesen Gruppen de facto gemeinsame Sache macht, in seinen Regierungen bereits mehrfach Typen aus diesem Umfeld Ministerposten innehatten, hat man offensichtlich zur Kenntnis genommen.

Störende Israel-Fans

In einem teile ich Andrea Schurians Empörung: Auch mir laufen viel zu viele antisemitische Judenhasser durch die Gegend. Auch im Nahen Osten, auch unter den Arabern. Keine Frage. Das darf und soll aber nicht vergessen machen, woher der Antisemitismus kommt, nämlich aus Europa. Ohne dem jahrhundertelangen europäischen Antisemitismus, ohne die Nazibarbarei würde es den jüdischen Staat Israel zweifellos nicht geben. Und dass der Antisemitismus, wie leider auch andere Arten des Rassismus, nach wie vor in Europa stark verankert sind, ist eine Tatsache, die man – nicht zuletzt auch bei Gelegenheiten wie des jüngsten israelisch-palästinensischen Krieges – absolut nicht vergessen sollte. Auch nicht die Tatsache, dass die überwiegende Anzahl antisemitischer Verbrechen und Übergriffe in Europa von autochtonen Rechten begangen werden. Und noch etwas: An Schurians Stelle würde mich auch sehr stören, in welcher Israel-Fangruppe ich mich seit geraumer Zeit befinde: Le Pen, Orbán, Salvini, AfD, FPÖ?

Wäre es nicht Zeit zum propagandistischen Abrüsten und zum fairen Brückenbauen?

Fritz Edlinger ist Herausgeber der Zeitschrift „International“ sowie Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2021)

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