Morgenglosse

Die kreative Wahlarithmetik des Assad-Regimes

Wahlwerbung für Syriens Präsidenten Assad.
Wahlwerbung für Syriens Präsidenten Assad.REUTERS
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Eigentlich hätten Syriens Behörden das Ergebnis der Präsidentenwahl schon vor der Abstimmung veröffentlichen können. Denn wenig überraschend trägt der Staatschef - wie schon seit einem halben Jahrhundert - den Namen Assad.

Syriens Wahlbehörde machte es weitaus spannender, als es eigentlich war. Denn große Überraschungen zum Ausgang der Präsidentenwahl hatte sie nicht parat. De facto hätte sie schon vor der Abstimmung am Mittwoch verkünden können, dass Bashar al-Assad Staatschef bleiben wird. Etwas anderes hätte das Regime ja auch gar nicht zugelassen. Unklar war zunächst nur, wie hoch der – offizielle – Sieg des Langzeitmachthabers ausfallen wird: Schafft er die fast 90 Prozent vom letzten Mal? Oder nennen die Stimmenzähler des Regimes doch einen etwas geringeren Wert – quasi in einem leisen Anflug schüchterner Selbstkritik, angesichts der verheerenden Lage des Landes?

Assad hat den Aufstand, der vor zehn Jahren gegen ihn losbrach, mit Hilfe Russlands und des Iran weitgehend niedergeschlagen. Etwa zwei Drittel Syriens stehen wieder unter seiner Kontrolle. Doch er herrscht über ein schwer gezeichnetes Land – über Städte wie Homs und Aleppo, in denen ganze Viertel von seinen eigenen Panzern und Flugzeugen in Trümmer gelegt wurden. Für einen umfassenden Wiederaufbau fehlen die Mittel. Die Wirtschaft liegt danieder. Die Coronapandemie und die westlichen Sanktionen wegen der Verbrechen des Regimes erledigen den Rest.

Die schlimme Situation Syriens würde eigentlich laute, harsche Kritik nötig machen. Doch wer sich dazu im Machtbereich Assads hinreißen lässt, verschwindet in Gefängnissen und Folterkellern. In der letzten verbliebenen Oppositionshochburg Idlib darf - ja muss - auf Kundgebungen Assad verflucht werden. Kritik an den teils extremistischen Rebellenmilizen, die dort die Kontrolle haben, bringt die Menschen jedoch ebenfalls in höchste Gefahr.

Die Hoffnung auf Reformen, mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben, die so viele 2011 hegten, hat sich nicht erfüllt. Statt Brot, Freiheit und Würde bleiben den Syrern Not, Unterdrückung und Unterordnung - und das nach drei Jahrzehnten Diktatur von Assad senior und 21 Jahren Regentschaft seines Sohnes Bashar. Den Syrern bleibt auch ein Staatsapparat, der mit schwindelerregender „Kreativität“ genehme Kandidatenlisten und Wahlergebnisse zurechtzimmert. Ein Schicksal, das sie auch zehn Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ mit Bürgern vieler anderer Staaten der Region teilen.

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