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„Juristische Fächer unverzichtbar, aber nicht ausreichend“

Paragrafen und Psyche verbinden
Paragrafen und Psyche verbindenDie Presse
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Ausbildung. Den Zusammenhang zwischen Paragrafen und Psyche zu sehen ist Alfred Pritz und Bernd-Christian Funk ein Anliegen.

Wer meint, präzises Sprechen und genaues Zuhören seien selbstverständlich und eine Leichtigkeit, der sollte es einmal mit dem Kontrollierten Dialog probieren. Vereinfacht gesprochen: Bevor man jemandem antwortet, wiederholt man das vom Gegenüber Gesagte mit eigenen Worten. „Das ist schwieriger, als man meint“, sagt Alfred Pritz, Rektor der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien, „weil wir oft nicht genau zuhören.“ Psychotherapie und Jurisprudenz seien zwei verwandte, zwei textauslegende Wissenschaften: „Nur haben es die Juristen eher mit kristallinen, die Psychotherapeuten eher mit flüssigen Texten zu tun.“

Sein Haus verbindet als erste Universität in Österreich die Rechtswissenschaften mit der Psychologie und Psychotherapie. „Es geht nicht darum, juristische Psychotherapeuten auszubilden, sondern ein psychologisches Gespür – zuerst für sich, dann für die Klienten – zu entwickeln.“ Juristen müssen um die unbewussten Triebfedern für das Handeln von Einzelpersonen und Gruppen wissen und deren Kontext mitdenken, sagt Pritz. Sie müssen empathisch auf Mandanten zugehen und dennoch die notwendige Distanz wahren können. Und ihnen müsse bewusst sein, dass jeder Mensch die Wirklichkeit aus seinem Blickwinkel konstruiert.

Es geht um Beziehungen

Persönlichkeitsbildung und Selbstreflexion sind daher Teil des Pflichtprogramms für die Studierenden, „um die eigenen Emotionen zu verstehen und in weiterer Folge in den Griff zu bekommen“. Das sei ein wichtiges berufliches Tool, sagt Pritz. „Schließlich haben es Juristen andauernd mit Beziehungen zu tun.“

Die Ausbildung in den „juristischen Fächern ist unverzichtbar, aber nicht ausreichend“, sagt auch der Dekan der Juridischen Fakultät, der Verfassungsrechtsexperte Bernd-Christian Funk. Social Skills, Kommunikation, Moderation, Konfliktvorbeugung und -management sind auch für ihn wesentliche Ausbildungsfelder zusätzlich zu den Rechtsfächern. Diese Fächer sind in der juristischen Ausbildung im Kommen, das zeigen auch die Curricula von Universitäten wie Oxford, Harvard oder Cambridge, wo ebenfalls psychologische Aspekte mit der juristischen Arbeit verbunden werden.

Überhaupt, sagt Funk, nehme er so etwas wie einen „communicative turn“ wahr. Auch im juristischen Kontext werde immer deutlicher sichtbar, dass nicht nur entscheidend ist, was man sagt, sondern auch, wie man kommuniziert. „Wir müssen auf die psychische Disposition der Menschen eingehen, mit denen wir es zu tun haben.“ Darüber hinaus gehe es darum, das Recht nicht als fertiges Gebilde zu sehen, sondern als etwas, das sich diskursiv entwickelt. So sei es zu wenig, beispielsweise im Strafrecht nur den Bogen von einer Tat zur Strafe zu spannen. „Es geht darum, den inneren Vorgang zu sehen und zu verstehen.“ Oder wie Funk es formuliert: „Den Zusammenhang zwischen Paragrafen und Psyche zu sehen.“

Schulbeispiel: Kurz und Ibiza

In diesem Sinn sei die aktuelle Diskussion um die Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss geradezu ein Schulbeispiel. Ohne die Sache inhaltlich zu beurteilen, sagt Funk, zeige sich hier, „um die Vorwerfbarkeit einer möglicherweise unrichtigen Aussage einordnen zu können, muss man die kommunikativen Verhältnisse einbeziehen“. Und das zu tun sei ein Zeichen und ein Beleg für juristische Qualifikation. (mhk)

Seminarhinweis: Einmaleins der Verhandlungspsychologie. Kompaktkurs mit Fokus auf die verschiedenen Persönlichkeitstypen, ihre Kommunikationsstile, Bedürfnisse und Vorgehensweisen in Verhandlungen. Ab 14. Juni. weiterbildungsakademie.sfu.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2021)

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