Brüssel will nach Vorbild des EU/Türkei-Pakts Flüchtlingsabkommen mit Libyen und Tunesien schließen, um das Problem Migration fernzuhalten.
Die nächste große Krise droht Europa unvorbereitet zu überrollen. Mit wachsender Sorge verfolgt man in Brüssel dieser Tage die rasant steigenden Flüchtlingszahlen im Mittelmeer. Auf der zentralen Route zwischen Nordafrika und Italien beträgt der Zuwachs der irregulären Migration im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 157 Prozent. Nach den drastischen Reisebeschränkungen während der Pandemie warten nun umso mehr Menschen an der nordafrikanischen Küste auf eine Überfahrt nach Europa: Allein in Libyen sollen es 70.000 sein.
Das ruft die Regierung in Rom auf den Plan. Premier Mario Draghi will Druck auf die EU-Partner ausüben, sich endlich auf eine dauerhafte, faire Unterstützung der besonders stark betroffenen Mittelmeerländer zu einigen. Das stößt nicht in allen EU-Hauptstädten auf offene Ohren. Die Regierungen haben nach 15 Monaten im Dauerkrisenmodus alle Hände voll zu tun, wirtschaftliche wie gesellschaftliche Folgen der Lockdowns aufzufangen, und wollen sich gerade jetzt nicht mit dem unpopulären Thema Migration herumschlagen – so zynisch das klingt. Beim Ratstreffen der 27 vorige Woche schafften es die steigenden Flüchtlingszahlen nicht einmal auf die Tagesordnung, was an Fahrlässigkeit grenzt. Denn langfristig kann sich Europa nicht um eine gemeinsame Lösung des Dauerproblems Flüchtlingskrise drücken. Seit 2015 haben 17.000 Menschen im Mittelmeer den Tod gefunden, 632 waren es in den ersten Monaten 2021 auf der besonders gefährlichen und derzeit stark frequentierten zentralen Mittelmeerroute. Bilder ertrunkener Kinder sprechen eine grausame Sprache.