Expedition Europa

Wie an einem Außenposten der Prärie

Berg der Kreuze, Siauliai, Litauen
Berg der Kreuze, Siauliai, Litauen(c) imago images/imagebroker (imageBROKER/Gerhard Kraus via www.imago-images.de)
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50.000 Kreuze und die höchste Brücke Europas. Auf chinesischen Spuren in Litauen und Montenegro.

Heute will ich von zwei Spuren der Großmacht China in Europa be-richten. Die erste Geschichte spielt in Litauen, auf dem „Berg der Kreuze“, der von der Sowjetmacht immer wieder eingeebnet und von Gläubigen immer wieder aufgerichtet wurde. Im ersten Corona-Winter riss dort eine chinesische Touristin ein Kreuz aus, auf dem die Hongkonger Demokratiebewegung gefeiert wurde, und schmiss es weg. Wie es die Mode gebietet, ließ sie sich von einer Begleiterin filmen und stellte das Ganze auf Instagram. Auf dem Video war ein chinesischer Dialog zu hören: „Schmeiß es dort hin und verschwinden wir!“ – „Heute haben wir eine gute Tat vollbracht. Unsere Heimat ist großartig.“

Ich hielt in jenem Winter, um nach dem kleinen Kreuz zu fragen. Die Täterin war soeben von Litauen mit Einreiseverbot belegt worden, doch die Verkäuferinnen im Souvenirshop antworteten wie selbstverständlich: „Wir haben dieses Kreuz nie gesucht.“ Als ich den windscheppernden Wald von Kreuzen betrat, verstand ich. Studierende hatten einen Zählversuch vor Jahren bei 50.000 aufgegeben, auf den in die Erde gesteckten Kreuzen hingen unzählige weitere Kreuze und Rosenkränze, streckenweise war das ein Dickicht deponieähnlicher Haufen verfaulter Billigkreuze. Oben spielte ein ver-stecktes Radio fast unhörbar „Radio Maria“. Ich gab auf, dieser chinesischen Spur müsste man über Wochen nachgehen.

Die andere Geschichte spielt in Montenegro, jetzt im Mai. Der Zwergstaat ließ sich vom chinesischen Baukonzern CRBC ein Teilstück der Zukunftsautobahn Bar-Belgrad errichten, sieht sich nun aber außerstande, den 955 Millionen Dollar schweren Kredit der chinesischen Exim-Bank abzustottern. Die EU lehnte eine Übernahme des Kredits höflich ab. Ich fuhr an der schon zwei Jahre überfälligen Autobahn entlang. Bei der gesperrten Auffahrt am Stadtrand von Podgorica sagten mir montenegrinische Arbeiter: „Ohne die Chinesen kriegen wir keine Verbindung mit Serbien.“ Sie hoben hervor, dass auf zwei der vier Bauabschnitte nur Montenegriner arbeiteten. Chinesen nahmen sie einerseits als Investoren und Chefs wahr, andererseits wie Ameisen: „Statt eine Maschine zu nehmen, schaufeln 30 Mann in Reih und Glied.“ Die Autobahn sei „nichts Besonderes, bis auf die höchste Brücke Europas, die aber so zugemauert ist, dass du sie beim Drüberfahren gar nicht bemerkst.“

In Bioče, bei dieser Brücke, lag eine der chinesischen Barackensiedlungen mit den blauen Metalldächern, von denen ich noch viele sehen sollte. Ich bog auf die enge alte Landstraße über der Tara-Schlucht ab. Von der kurvenreichen einspurigen Hochalmstraße sah ich alles: die Autobahn von oben und von unten, und ich weiß jetzt auch, dass sie zum Teil keinen Pannenstreifen hat. Alle paar Minuten ein anderes Auto, über zweieinhalb Stunden ausschließlich männliche Reisende.

Der Weiler Lopate in der Mitte schien als bevorzugter Rastpunkt zu dienen. Der blaue Torbogen mit chinesischen Schriftzeichen wuchs gleichsam aus montenegrinischen Heldengräbern hervor. Der Laden hatte nicht viel mehr als Salzgebäck und Energydrinks, dies dafür mit großer Auswahl. Die Verkäuferin war auf 53 Kilometern die einzige Frau. Sie meinte, ich könnte ruhig durch den mit Verbotsschildern zugestellten Bauhof der Chinesen fahren. Ich sah einen bleichen Alten zum Pinkeln aussteigen, fünfzig Meter weiter sprang aus demselben weißem Röchel-Mercedes ein Junger zum Kotzen heraus. Kurz darauf begriff ich: Die alte schmale Asphaltstraße ging in überflutete Schlaglöcher über.

Das Nirgendwo, in dem die Autobahn für Jahrzehnte enden wird, heißt Mateševo. Es gab eine Imbisshütte, in der ich mir Ćevapčići braten ließ. Die Braterin erzählte: „Die Chinesen vergöttern Fleisch, meine Ćevapčići haben sie verschlungen.“ Sie trinken auch gern, bevorzugt Hartes.
Ich setzte mich ins einzige Tschecherl, ein Stammgast mit Schleimhusten qualmte bei geschlossener Tür. Eine gespannt-träge Atmosphäre, wie in einem Außenposten der Prärie, nur dass aus einem staubaufwirbelnd herbeigedüsten Pick-up ein junger hochgewachsener Chinese heraussprang. Er ließ die Wagentür offen, ließ seine China-Schnulzen weiterlaufen, stellte sich im Laden mit Mundschutz an und nahm eine große Flasche klaren Feuerwassers aus dem Regal. Später stellte er die Flasche wieder zurück.

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