Die Flugzeugentführung markiert eine Zäsur: Alexander Lukaschenko, der Herrscher von Minsk, hat sein Land Moskau ausgeliefert. Die EU darf nun die Bürger von Belarus nicht im Stich lassen.
Jahrelang spielte Alexander Lukaschenko, der Präsident von Belarus, Europa und Russland gegeneinander aus. In einer Schaukelpolitik kokettierte er je nach Bedarf mit dem Osten oder dem Westen, ohne sich je ganz für eine Richtung zu entscheiden. So sicherte sich der seit 1994 amtierende Staatschef außenpolitischen Freiraum – und wirtschaftliche Zugeständnisse beider Seiten. Je intensiver Russland um eine Vertiefung des Staatenbunds mit der Ex-Sowjetrepublik warb, desto mehr öffnete sich Lukaschenko Europa. Von Überzeugungen war der Autokrat dabei nie geleitet. Ihm ging es immer nur darum, von Moskau nicht einverleibt zu werden und seinen Machtbereich ungeschmälert zu erhalten.
Die EU ließ sich auf das geopolitische Tauziehen um Einflusszonen ein und übersah gelegentlich, wie sehr dabei Lukaschenko mit ihr spielte. Es war eine Illusion zu glauben, der Herrscher von Minsk werde je eine tiefgreifende Europäisierung und Demokratisierung seines Landes zulassen. Das war spätestens seit August klar, als er zuerst die Präsidentenwahl unverfroren stahl und danach die überraschend breite Protestbewegung gegen ihn niederwalzte. Tausende landeten im Gefängnis oder Exil.
Das war grauenerregend genug. Den ultimativen Bruch mit Europa vollzog Lukaschenko jedoch am Pfingstsonntag: In einem unerhörten Akt staatlicher Luftpiraterie zwang das Regime ein Passagierflugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius mit einem Kampfjet zur Landung in Minsk, um dort einen Exil-Aktivisten und dessen russische Freundin herauszufischen und zu verhaften. Als Vorwand für die Entführung diente eine offenbar fingierte Bombendrohung der palästinensischen Hamas. Eine üble Charade.