Leitartikel

Wer die eigentliche Schuld an Brexit und Schwexit trägt

Die Abkehr von der EU hat nur oberflächlich mit ihren aktuellen Schwächen zu tun.
Die Abkehr von der EU hat nur oberflächlich mit ihren aktuellen Schwächen zu tun.(c) imago images/Le Pictorium (Nicolas Landemard / Le Pictorium via www.imago-images.de)
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Die Abkehr von der EU hat nur oberflächlich mit ihren aktuellen Schwächen zu tun. Sie markiert das Ende der liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Für komplexe Probleme gibt es meist entweder eine einfache Erklärung, die beliebt ist, oder eine komplizierte, die unbeliebt ist. Simpel ist es, die jüngste Schweizer Entscheidung gegen ein neues EU-Rahmenabkommen mit dem Imageproblem der Union zu erklären. Insbesondere in Ländern wie Österreich oder Deutschland ist damit rasch zu punkten. Denn auch hier hat sich eine breite skeptische Gegnerschaft der EU etabliert. Die Schweizer wie die Briten hätten eben genug von diesem bürokratischen Monster, der Überregulierung, der Einflussnahme und Unterwanderung der nationalen Kultur – so das Erklärungsmuster.

Doch so einfach ist es nicht. Ob der Brexit oder nun der Schwexit: Beide Entscheidungen hängen weniger mit den Schwächen der EU als mit einer Neuorientierung zusammen, die in diesen Ländern von wichtigen politischen Kräften seit Jahren vorangetrieben wurde. Bei dieser Desavouierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit reichen sich sogar rechts und links fest die Hände.

Zur Erinnerung: Die EU ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Staaten, die eine gemeinsame Plattform für eine enge Wirtschaftskooperation errichten wollten. Auf Basis fairer und kontrollierter Wettbewerbsbedingungen entstand der Binnenmarkt – eine Grundlage von Stabilität und Wohlstand über Jahrzehnte. Die Attraktivität dieses Modells war lang so groß, dass sich immer mehr Länder der EU anschlossen. Und selbst die Schweiz mit ihrem traditionellen Souveränitätsdogma erkannte die Vorteile. Sie verhandelte Abkommen um Abkommen mit der EU – bis es weit über 100 waren. Heute exportiert die Eidgenossenschaft mehr als die Hälfte ihrer Waren und Dienstleistungen ohne Schranken in die Union.

Allerdings entstand ein unflexibles rechtliches Geflecht, das beide Seiten sieben Jahre und unzählige Verhandlungsstunden lang durch einen neuen Rahmenvertrag ersetzen wollten. Jetzt hat die Schweizer Seite diese Gespräche einseitig beendet. Das Problem begann mit der Öffnung des Arbeitsmarkts 2002. Schweizer dürfen seitdem in der EU, EU-Bürger in der Schweiz arbeiten. Ein logischer Schritt, denn auch der Arbeitsmarkt ist Teil des Binnenmarkts. Die europaweite Anwerbung von Fachkräften erhöhte die Effizienz der Schweizer Betriebe. Auch Schweizer Arbeitskräfte nutzten diese Möglichkeit. Mittlerweile leben 1,4 Millionen EU-Bürger in der Schweiz, umgekehrt rund 400.000 Schweizer in der EU.
So wie in Großbritannien hat die Freizügigkeit auch in der Schweiz eine spürbare Einwanderung ausgelöst. Gesellschaftliche Spannungen waren die Folge, die etablierte politische Kräfte nicht abzufedern versuchten, sondern sogar eskalierten, um sich als Schutzmacht der autochthonen Bevölkerung zu definieren. In der Schweiz punktete die nationalistische SVP mit der Gefahr einer kulturellen Unterwanderung, die Sozialdemokraten mit Gefahren für das hohe Lohnniveau. In Großbritannien agierten Tories und Labour nicht viel anders.

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