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Bo Burnham: Der Chefkabarettist der Millennials

 Als Publikum dient nur die Sockenpuppe, doch der Witz sprüht: Bo Burnham allein zu Haus.
Als Publikum dient nur die Sockenpuppe, doch der Witz sprüht: Bo Burnham allein zu Haus. [ Netflix ]
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Bo Burnham hat mit „Inside“ hat ein Quarantäne-Programm vorgelegt. Das ist trist – und doch große Konzeptkomik.

Das Zimmer sieht aus, als wäre es seit Wochen nicht aufgeräumt worden. Überall Kabelsalat, Musikinstrumente, verstreute Elektronik. Die Jalousien sind unten, Licht sickert in Scheiben durch. Oder flimmert fahl aus einem Beamer. Eine Lockdown-Zelle. Hier sitzt der Alleinunterhalter am Keyboard, trällert Liedchen in die Kamera, sorgt per Knopfdruck für Publikumslacher aus der Konserve. Ein Komiker, der sich in seiner Garçonnière selbst bespaßt. Gibt es eine tristere Vorstellung?

Kaum. Trotzdem spürt man: Bo Burnham ist in seinem Element. Schon als Teenager stellte er schrullige Songs auf die damals noch jungen Internetplattformen. Und gewann bald ein treues Publikum. Es folgten erste Alben, Auftritte, Comedy-Specials. Heute ist Burnham, ein Kind der 1990er-Jahre, Chefkabarettist aller verkorksten US-Millennials.

Vor der Pandemie: Bo Burnhams „Lower Your Expectations Song"

Sein umjubeltes neues Netflix-Programm, „Inside“, wirkt fast wie ein Manifest. Pandemische Isolation wird hier zur pointierten Metapher für (digitale) Selbstbespiegelung. Und Burnham selbst zur Symbolfigur des zeitgeistigen Kreativitätsdiktats: ein Clown, gefangen in der Echokammer.
„If you'd have told me a year ago / that I'd be locked inside of my home / I would have told you a year ago / interesting, now leave me alone“, singt er im eingängigen Synthie-Stil. Schon hier klingt das Leitmotiv performativer Selbstkritik an, das Burnham stets auf die Spitze (und darüber hinaus) zu treiben wusste. „Should I be joking at a time like this?“, fragt er zu Beginn im Hinblick auf Klima, Corona etc.

Gleich folgt die ironische Antwort: „Healing the world with comedy!“ Ein weißer, männlicher Witzemacher, der sich über die Selbstgefälligkeit weißer, männlicher Witzemacher mokiert. Ist das nicht auch wieder selbstgefällig? Doch Burnham ist längst fünf Schritte voraus, hat immer eine neue Meta-Ebene im Ärmel.

Von der Systemkritik zum Lagerkoller

Zunächst rollt die „Inside“-Revue recht konventionell dahin. Mit langem Haar und Bart im Milchgesicht persifliert Burnham hakelige Videofonie mit Mama, die Tücken des Sextings, die Scheinheiligkeit von Influencern – oft in Form von Pop-Parodien und Klavierballaden, meist mit einem Schuss Systemkritik. Bisweilen erinnert das an Jan Böhmermann oder an den Diskurs-Rap von Deichkind. Gipfelpunkt: Präventive Cancel-Culture-Selbstkasteiung als lasziv verschwitzter Tanz („I'm problematic!“).

Doch allmählich geht das Showformat aus dem Leim. Adressiert Burnham anfangs noch eine imaginäre Zuschauerschaft, verliert er sich später zusehends in Selbstgesprächen, schwankt im Lagerkoller halbnackt umher, hört nervös seine eigenen Aufnahmen ab. Der verspielte, erratische Schnitt trägt zum Eindruck psychischer Brüchigkeit bei. Nun wird der 30-Jährige ernster, persönlicher, erzählt von seiner Kindheit, seiner Weltflucht und Depression. Irgendwann greift er zur Klampfe, säuselt wie eine Kreuzung aus Sufjan Stevens und Father John Misty vom dräuenden Untergang der Spezies: „20.000 years of this / seven more to go.“ Das Alberne und das Abgründige sind hier Zwillinge.

Das Burnham auch Optimismus kann, hat er mit seinem Regiedebüt „Eight Grade“ (2018), einer liebevollen Coming-of-Age-Geschichte, bewiesen. Auch als „seriöser“ Schauspieler konnte er sich mit einer einprägsamen Nebenrolle im Oscar-Film „Promising Young Woman“ etablieren. Im „Inside“-Finale verweist er mit einem Bild, das sich selbst enthält, auf die absurden Tragödien eines Charlie Kaufman. An Ehrgeiz mangelt es dem Jungspund nicht. Ist er ein Nabelschauer? Sicher. Aber ein ganz großer.

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