Die Acht-Parteien-Koalition steht auf tönernen Füßen. Netanjahu versucht das komplexe Konstrukt zu Sturz zu bringen.
Jerusalem. Ohne Drama ging es nicht ab. In der Nacht auf Donnerstag, um 23:22 Uhr, klingelte das Telefon des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin. Der passionierte Fußballfan weilte gerade im Stadion beim israelischen Cup-Finale. Oppositionsführer Yair Lapid überbrachte ihm eine wichtige Botschaft: 38 Minuten vor dem mitternächtlichen Ende der vierwöchigen Frist für die Regierungsbildung hatte er eine Acht-Parteien-Koalition zusammengestellt. „Ich habe die Ehre, Sie zu informieren, dass es mir gelungen ist, eine Regierung zu bilden.“
Es ist eine Koalition, wie sie das Land noch nicht gesehen hat – und die manche schon jetzt als historisch beschreiben, wenn nicht gar als sensationell: Sie vereint nationalistische Kräfte, die einen Palästinenserstaat ablehnen, mit linken Verfechtern einer Zweistaatenlösung und arabischen Islamisten. Zu alledem soll ein Mann Ministerpräsident werden, dessen Partei nur sieben Mandate hält und der nur von sechs Parlamentariern die Zustimmung für das Experiment bekommen hat: Yamina-Chef Naftali Bennett.
Die Kür von Jitzhak Herzog
Zuvor war Ankündigung um Ankündigung für eine Einigung verstrichen. In der Knesset hatten sich zur Mittagsstunde alle Protagonisten der israelischen Politik zur Wahl des neuen Präsidenten versammelt. Die Kür Jitzhak („Bujie“) Herzogs verlief erstaunlich reibungslos: Auf den 60-jährigen Ex-Chef der Arbeitspartei, Sohn des Präsidenten Chaim Herzog und Enkel des ersten Großrabbiners, der „rotem Adel“ und dem Ashkenazi-Establishment entstammt, entfiel eine Zweidrittelmehrheit der 120 Abgeordneten.
Herzog umarmte Gegenkandidatin Miriam Peretz, stieß mit dem Parlamentspräsidenten mit einem Glas Sekt an und nahm die Gratulationen entgegen – von Rivlin bis zu Noch-Premier Benjamin Netanjahu. Angesichts eines zutiefst polarisierten Parteienspektrums erlebten die Israelis ungewöhnlich versöhnlich-amikale Gesten.
In den Sitzreihen und Couloirs des Parlaments zogen sich in der Zwischenzeit die Parteichefs zu Beratungen zurück. Naftali Bennett tuschelte mit Yair Lapid und Merav Michaeli, der Vorsitzenden der Arbeitspartei, sowie mit seiner Parteifreundin Ayelet Shaked. Die beiden Frauen waren sich um einen Sitz im wichtigen Justizausschuss uneinig und blockierten den Deal. In einer anderen Ecke besprach sich Lapid später mit Verteidigungsminister Benny Gantz, seinem früheren Partner im Blau-Weiß-Bündnis.