Brandstetters Fall: Unsittenbild der Justiz

Chat-Nachrichten offenbaren seltsame Einstellungen gegenüber dem Verfassungsgerichtshof, aber auch juristischen Reformbedarf.

Die beiden hätten es besser wissen können. Nachrichten am Handy, wie sie der suspendierte Sektionschef Pilnacek und der scheidende Verfassungsrichter Brandstetter ausgetauscht haben, sind vor nichts sicher. Es reicht, dass die Staatsanwaltschaft ein Gerät als Beweismittel sicherstellt, schon hat sie Zugriff auf alles, was im Handy oder in der Cloud gespeichert ist. Das war nichts Gutes: Pilnacek bescheren die geleakten tiefen Unterhaltungen neues Ungemach im Kampf um seinen Posten im Justizministerium, Brandstetter musste seinen Rückzug aus dem VfGH ankündigen.

Soweit die aus Pilnaceks Handy ausgelesenen Chats bekannt geworden sind, dürften sie keinen Hinweis auf Strafbares enthalten. Aber es zeigt sich ein Unsittenbild der Justiz, das zwei machtbewusste Männer im vermeintlich Geheimen abgeben.

Der VfGH würde den Rechtsstaat „fehlleiten“, meinte Pilnacek zum Ende des Verbots der Sterbehilfe. Brandstetter stimmte in die Klage über einen „schwarzen Tag für den Rechtsstaat“ ein, weil der VfGH auch das Kopftuchverbot an Volksschulen aufhob. Brandstetter ließ keinen Zweifel daran, was er von all dem hielt, nämlich nichts. Aber er habe die Richter nicht ausgesucht, und mehr habe die Demokratie halt nicht zu bieten.

Was die ÖVP-nahen Männer artikulierten, deckt sich mit der Meinung konservativer Beobachter: Der VfGH ist ohne äußeren Anstoß politischer, progressiver geworden. Dass aber die Abneigung der beiden Repräsentanten des Staates gegen ein Spitzenorgan bekannt geworden ist, macht ihnen das Berufsleben (zu) schwer: Brandstetter geht, Pilnaceks Vorgesetzte, die grüne Justizministerin Alma Zadić, mahnte dazu, allen Institutionen des Rechtsstaats „den gebührenden und gebotenen Respekt“ entgegenzubringen.


Da war wohl auch die WKStA gemeint, die Pilnacek „missraten“ nennt. Zwar hat sich diese nicht nur mit Ruhm bekleckert, sondern alles getan, um Pilnacek anzupatzen. Er musste aber die Steuerung der Staatsanwaltschaften aufgeben – ein, wie er es nennt, „Foul“, das eines Ausgleichs harrt. Eine Möglichkeit dazu hätte er in der Beförderung seiner Frau zur Präsidentin des Oberlandesgerichts Graz gesehen, weshalb er für diese zu intervenieren versuchte.

Brandstetter stürzt, Pilnacek wankt, weil die Chats öffentlich wurden. Die Indiskretion ist unschön. Die Abfälligkeiten gegen dem VfGH und die WKStA, auch Pilnaceks intolerable Bemerkungen über zwei Verfassungsrichterinnen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und wer noch nie einen geschmacklosen Witz gemacht hat, werfe die erste Rücktrittsaufforderung. Aber: Wer hätte besser wissen können als diese Strafrechtsexperten, dass die Sicherstellung von Handys neu geregelt gehört? Sodass nicht jeder beliebige Strafverdacht bewirken kann, dass vertrauliche Kommunikation allgemein bekannt wird.

E-Mails:benedikt.kommenda@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2021)


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