Glaubensfrage

Die sanfte franziskanische Revolution

Archivbild von Papst Franziskus.
Archivbild von Papst Franziskus.APA/AFP/POOL/REMO CASILLI
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Die vom Papst ausgerufene zweijährige weltweite Kirchenberatung ist eine große Chance. Sie sollte nicht vergeben werden.

Erinnerungen an Johannes XXIII. werden wach. Der hat Freund und Feind mit der spektakulären Ankündigung eines Konzils in jenem Jänner 1959 überrascht. Eine Front des Widerstands im Vatikan und unter den Konservativen dieser Welt hat sich rasch gebildet – erfolglos. Mehr als ein halbes Jahrhundert später hat Papst Franziskus so etwas Ähnliches wie ein dezentrales Mini-Konzil angekündigt.

Er schickt die Kirche in einen zweijährigen synodalen Prozess, in dem über die Synodalität der Kirche beraten werden soll; zuerst in allen Diözesen, den Ortskirchen, dann auf der kontinentalen Ebene, zuletzt dann auf einer offiziellen Bischofssynode in Rom. Das klingt unspektakulärer, als es ist.

Denn worum geht es bei dem außerhalb des Theologenzirkels sperrigen Begriff Synodalität? Der Begriff des gemeinsamen Beratens ist nur für Katholiken ein eher ungewohnter, fremder. Schauen wir nach Graz. Dort sind seit Donnerstag noch bis Sonntag in der Messehalle die Vertreter der evangelischen Kirchen zu ihren Synoden und zur gemeinsamen Generalsynode beisammen. Synoden sind die höchsten gesetzgebenden Organe der evangelischen Kirchen. Ihnen gehören gewählte geistliche und weltliche Repräsentanten aller Bundesländer an, bei der Generalsynode fast 70 Personen. Diese Synoden haben die Funktion eines Kirchenparlaments, in denen verbindliche Entscheidungen getroffen werden.

Verbindliche Entscheidungen? Die trifft bei den Katholiken nur einer, der Papst persönlich, mit Ausnahme des Jahrhundertfalls namens Konzil. Selbst bei den als Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils geschaffenen Bischofssynoden entscheidet hinterher in einem Lehrschreiben ausschließlich der Papst, welche Empfehlungen er aufnimmt, ändert, verwirft. „Eine Synode ist kein Parlament, Synodalität ist keine Demokratie.“ Mit diesen Worten versucht der Generalsekretär der Bischofssynode, der von Franziskus eingesetzte Kardinal Mario Grech, zu beruhigen. Es wird beim Versuch bleiben. Wenn Franziskus ernst meint, was er mit seinem synodalen Vorgang, mit seinem weltweiten Nachdenken über Mitbeteiligung aller in Gang setzt, stehen einige Änderungen bevor, die heute nicht als undenkbar, aber unwahrscheinlich gelten.

Schon 2018 hatte die Theologische Kommission im Vatikan dem vom Papst herbeigesehnten synodalen Prinzip der Kirche ein wenig beachtetes Dokument gewidmet: „Gemeinsam unterwegs sein, das ist der konstitutive Weg der Kirche“, heißt es da. Das Kommando des Papsts zum Aufbruch, zum Sich-auf-den Weg-Machen kann der vielerorts träge und starr gewordenen Kirche nur guttun. Gilt man als Querulant, wenn dennoch bemängelt wird, dass es vielleicht auch gut wäre, ein Ziel zu kennen (das tut der Papst ja vielleicht) und zu nennen?

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2021)

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