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Das miserable Image der Tauben

Symbolbild. Ein kubanischer Taubenzüchter präsentiert seine Prachtexemplare.
Symbolbild. Ein kubanischer Taubenzüchter präsentiert seine Prachtexemplare.REUTERS
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Einst als heilige Tiere verehrt und wegen ihrer vielen Vorzüge geachtet, haben Tauben heute ein miserables Image. Warum eigentlich? Eine deutsche Autorin versucht eine Antwort.

Als Georg Kreisler 1955 das „Taubenvergiften im Park“ besang, sprach er wohl vielen Zeitgenossen aus der Seele. Der miserable Ruf, den Stadttauben (Columba livia var. urbanica) haben, spiegelt sich auch in der Bezeichnung „Ratten mit Flügeln“ wider, die 1966 vom New Yorker Parkverwalter Thomas Hoving kreiert und 1980 von Woody Allen im Film „Stardust Memories“ weiter popularisiert wurde. Gleichzeitig wurden und werden aber auch Lobeshymnen auf Tauben angestimmt – als Symbole für Liebe, Treue, Frieden und Spiritualität, und als Überbringer wichtiger Nachrichten (etwa dass die Sintflut zu Ende gegangen sei).

Zwischen diesen Polen bewegt sich das Tauben-Porträt der deutschen Autorin Karin Schneider (160 Seiten, Naturkunden bei Matthes & Seitz, 20,60 Euro). Ihr Buch ist eine echte Fundgrube an Wissens- und Staunenswertem über die artenreiche Ordnung der Taubenvögel – etwa über die Ausrottung von Wandertauben und Dodos, über die Domestizierung der Felsentauben vor 12.000 Jahren (als eine der ersten Tierarten überhaupt), über die unglaublichen Fähigkeiten von Brieftauben oder über die erneute Verwilderung von Haustauben, die heute als Straßentauben fast jede Stadt auf der Welt besiedeln. Wussten Sie etwa, dass die Tiere ihre Nachkommen mit einer extrem nährstoffreichen Flüssigkeit aus ihrem Kropf, der sogenannten „Kropfmilch“, aufziehen? Dass sie viel besser sehen und hören als wir? Dass einst in Isfahan Taubentürme gebaut wurden, um mit dem gesammelten Vogelkot Obst und Gemüse zu düngen? Oder dass Tauben wegen des Fehlens einer Gallenblase als besonders rein und heilig angesehen wurden?

Warum aber werden die Tiere, die man früher achtete und verehrte, heute mit Ekel betrachtet? Dass Stadttauben schlimme Seuchenherde seien, wurde von der Wissenschaft längst widerlegt. Eine Rolle spielt wohl, dass die Tiere einiges an Mist produzieren – nämlich rund zehn Kilo Kot pro Taube und Jahr. Die Hauptgründe für das schlechte Image ortet Schneider zum einen darin, dass ihre nützliche Rolle für den Menschen – als Düngerlieferanten, Leckerbissen und Übermittler von Botschaften – obsolet wurde. Und zum anderen, dass Tauben die einzigen Tiere sind, die dem Menschen in größeren Gruppen begegnen. Sie gelten damit als die „sichtbarsten Eindringlinge in das Territorium der Menschen“, stören die Ordnung, sind daher unerwünscht und werden als Plagegeister, als lästige und schmutzige „Gammler“ empfunden.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2021)

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