Unterwegs

Moskauer Frühsommer

Jeder Frühling hier hat sofort Sommer-Ambitionen.
Jeder Frühling hier hat sofort Sommer-Ambitionen. APA/AFP/YURI KADOBNOV
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Der Moskauer Frühsommer lässt die Härten des Winters in Russland vergessen. Jedes Jahr aufs Neue.

Moskau ist ein Moloch. Und gleichzeitig ist die Stadt in diesen Tagen wahnsinnig grün – viel grüner als Wien übrigens. Aus meinem Fenster sehe ich derzeit nur die undurchdringlich dichten Blätter der Kastanienbäume. Man könnte meinen, ich lebte mitten in einem Wald. Voll strahlendem Grün sind auch die Hinterhöfe, deren winterliche Ödnis im Frühling von allerlei Gewächsen überwuchert wird. Die vielen Fliederblüten verströmen einen frischen Duft. Alles strömt in die weitläufigen Parks, die sich als Grüngürtel durch die Wohnblockviertel der Außenbezirke ziehen. Frischluft zu atmen, ist eine der Lieblingsfreizeitbeschäftigungen der Russen.

Nach sieben Monaten Kälte klettert das Thermometer ruckzuck von minus 30 auf plus 30 Grad. Jeder Frühling hier hat sofort Sommer-Ambitionen. Die warme Jahreszeit in Moskau ist wie ein heiß begehrter, aber unehrlicher Liebhaber: Sie vernebelt einem das Bewusstsein und umgarnt einen derart überzeugend, dass man in ihrer Gegenwart die Erinnerung an die trostlosen, grauen und dunklen Monate vergisst. Der Moskauer Frühling und Sommer – er ist so total, so einnehmend, dass man meinte, er war schon immer da und wird für immer bleiben. Ein Trugbild, klar.

Aber es ist diese Helligkeit, Energie und Lebenskraft, die die Stadt zur Höchstform auflaufen lässt. In dieser Zeit muss man Moskau einfach lieben. Nur nicht daran denken, dass in knapp drei Monate alles wieder vorbei ist, die Pullis und Jacken aus dem Schrank hervorgeholt und die Stiefel mit Lederfett eingerieben werden müssen. Nur nicht daran denken, und die sommerliche Selbstvergessenheit in vollen Zügen genießen!

jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2021)

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