"Anom"

Wie die Polizei weltweit Handys an Kriminelle verteilte, um diese damit abzuhören

Die australische Polizei verhaftet einen Verdächtigen im Zuge der "Operation Ironside".
Die australische Polizei verhaftet einen Verdächtigen im Zuge der "Operation Ironside".via REUTERS
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Eine weltweite Mega-Razzia brachte mehr als 800 mutmaßliche Kriminelle ins Gefängnis - auch in Österreich gab es Festnahmen. Der Schlüssel dazu: eine eigene Messenger-App namens „Anom", die in Verbrechensgruppen verteilt wurde und rasch stark nachgefragt war.

Es klingt im ersten Moment doch allzu stark nach einer Falle - doch es hat tatsächlich funktioniert: Ein riesiges Kriminellen-Netzwerk in 18 Ländern wurde durch eine Handyapp enttarnt, die die Polizei unter Führung des FBI selbst verbreitet hat und rasch als besonders angesagtes Kommunikationsmittel bei mutmaßlichen Verbrechern aller Art galt. „Anom“ ist der Name der Zauber-App, die es nur auf eigens dafür verbreiteten Telefonen gibt. Und dass man nur schwer an diese Zaubertelefone herankam, ließ die Nachfrage und Glaubwürdigkeit von „Anom" offenbar steigen und führte so zu einer weltweiten Mega-Aktion, die mehr als 800 Festnahmen in über 100 Ländern zur Folge hatte - einige auch in Österreich. "Dies war einer der größten und ausgeklügeltsten Einsätze überhaupt", sagte der stellvertretende Europol-Direktor Jean-Philippe Lecouffe in Den Haag.

Bei den gut 700 Razzien in Europa, Neuseeland, Australien und den USA beschlagnahmen die Behörden mehr als acht Tonnen Kokain, wie Europol am Dienstag mitteilte. „Es war ähnlich wie Whatsapp. Das heißt, es sollte sehr, sehr sicher sein, aber das war es natürlich nicht. Es war von Anfang an völlig kompromittiert“, erklärte Greg Williams, Leiter der neuseeländischen „National Organised Crime Group“.

Zu den Festgenommenen zählen Angehörige von Mafia-Clans und organisiertem Verbrechen. Drogen, Waffen und Bargeld konnten in großen Mengen konfisziert werden. Alleine in Australien ist es dank „Anom“ gelungen, 224 Menschen festzunehmen. 20 Morddrohungen seien außerdem zutage gekommen - somit habe das Leben „einer beträchtlichen Anzahl von Unschuldigen“ geschützt werden können, hieß es vonseiten der australischen Polizei. Australiens Premierminister Scott Morrison sprach von einer wegweisenden Operation, die das organisierte Verbrechen stark getroffen habe.

In Österreich gab es in mehreren Bundesländern Hausdurchsuchungen, bestätigte die Sprecherin des Bundeskriminalamtes, Silvia Kahn. Auch Festnahmen soll es gegeben haben. Aus kriminaltaktischen Gründen wollten die Behörden am Dienstag aber keine Details kommunizieren.

Wie „Anom" verteilt wurde

Die neuseeländische Polizei berichtet der BBC, wie die Behörden es geschafft haben, ihre eigene Messenger-App unter die Leute zu bringen. Sicherheitsbehörden beklagen immer wieder, dass die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gängiger Apps wie Whatsapp, Telegram, Signal und Co ihre Ermittlungen erschwert. Dabei sind die Inhalte der Kommunikation grundsätzlich nur für die Teilnehmer des Chats im Klartext sichtbar, nicht aber für den Plattform-Anbieter. Die modernen Verschlüsselungsverfahren sind meist kaum zu knacken. Mit „Anom“ sollte das einfacher gehen.

Mithilfe von Undercover-Agenten verteilte man erste - mit „Anom vorinstallierte Geräte“ - an hochrangige Kriminelle. Und wenn die „großen Fische“ diese Kommunikation verwenden - wieso sollten es nicht auch die kleineren? Plötzlich waren die Geräte stark nachgefragt in der Szene. Der flüchtige australische Drogenschmuggler Hakan Ayik war laut BBC der Schlüssel in der Operation. Er soll die App seinem kriminellen Netzwerk schmackhaft gemacht haben. „Man musste einen Kriminellen kennen, um an eines dieser Geräte zu kommen. Die Telefone konnten weder jemanden anrufen, noch E-Mails verschicken. Man konnte nur mit jemandem auf derselben Plattform kommunizieren“, erklärte die Polizei.

Und so konnten die Ermittler plötzlich Millionen Nachrichten in Echtzeit mitverfolgen, in denen Drogenimporte, Mordkomplotte und andere Verbrechen geplant wurden. „Alles, worüber sie reden, sind Drogen, Gewalt, Anschläge aufeinander oder unschuldige Menschen, die sie ermorden wollen - eine ganze Reihe von Dingen“, sagte Reece Kershaw von der australischen Polizei der britischen BBC.

In Australien konfiszierte Drogen.
In Australien konfiszierte Drogen.via REUTERS

Unterschiedlichste Verbrechergruppen aufgeflogen

Das Ergebnis dieser Großaktion kann sich alleine in Australien bereits sehen lassen. Über drei Tonnen Drogen und 45 Millionen australische Doller an Bargeld und Vermögen (28,6 Millionen Euro). Neuseeland bilanziert mit mehr als 900 Anklagen, 35 Festnahmen und 3,7 Millionen neuseeländischen Dollar (2,19 Millionen Euro) an Vermögen, das konfisziert wurde.

Insgesamt waren bei der „Operation Ironside“ 4000 Beamte in Australien beteiligt, weltweit sollen es 9000 gewesen sein. In Europa lief der Einsatz unter dem passenden Namen „Trojan Shield“. „Die Kommunikation von ihnen auszuschalten, war ein wichtiger Teil unserer Bemühungen, das organisierte Verbrechen zu stören“, so Kershaw. Die App habe den Behörden einen Vorsprung gegenüber den Verbrechern gegeben wie niemals zuvor. Doch auch das „Anom"-System sei nur eines von vielen gewesen, das in kriminellen Netzwerken verwendet werde. Man kann außerdem davon ausgehen, dass die kriminelle Szene ihre Kommunikation künftig noch genauer hinterfragt.

>> Der Artikel der BBC (auf Englisch)

(klepa/Ag.)

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