Kulturgeschichte

Warum wir so gerne küssen

Ist das Küssen allgemein menschlich oder eine westliche Erfindung? Wie politisch kann ein Kuss sein? Und warum spielt er auch in der Religion eine so große Rolle? Zwei italienische Kulturanthropologen versuchen Antworten.

Nicht immer glückt die Begegnung zweier Kulturen. Der britische Entdecker William Winwood Reade verliebte sich auf einer seiner Reisen in eine afrikanische Prinzessin und machte ihr wochenlang den Hof. Schließlich wagte er einen schüchternen Kuss. Das Mädchen geriet sofort in Panik und lief schreiend davon. Sie hielt diese in ihren Breiten unbekannte Form der amourösen Annäherung für einen Versuch, sie zu verspeisen, den Kavalier für einen Kannibalen. Merke: Die Menschenfresser sind eben immer die anderen.

Reades Reisebericht von 1864 gibt uns zu denken. Nicht nur, weil die Grenzen zwischen Umschlingen und Verschlingen auch in den Zeugnissen unserer Kultur zuweilen fließend wirken. Man denke an das wilde Treiben der literarischen Vampire, von der lesbischen Carmilla bis zum bisexuellen Dracula. Oder, hochkultureller, an die Amazonenkönigin Penthesilea bei Kleist: „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen.“ Verblüffender ist aber die Vorstellung, die leidenschaftliche Verbindung zweier Lippenpaare sei eine europäische Erfindung, die wir dem Rest der Welt – nun ja, auf den Mund gedrückt hätten.

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