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Green IT: Spur eines Wunschgedankens

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Fluch und Segen: Der Nachhaltigkeit digitaler Innovationen stehen Umweltprobleme gegenüber, die von der Bearbeitung der Datenflut verursacht werden.

Es scheint keinen Lebens- und Geschäftsbereich mehr zu geben, der von der Digitalisierung der Welt nicht betroffen wäre. Stand bis dato in erster Linie die Effizienzsteigerung von Vorgängen im Fokus, so wird in den letzten Jahren auch zunehmend das Thema Umweltschutz gespielt. Digitale Technologien sollen die Transformation der Energiewirtschaft unterstützen, den Ressourceneinsatz bei der bedarfsorientierten Produktion von Gütern optimieren und dabei der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Smartes Wassermanagement kann neue Wege für die Versorgung mit qualitativem und leistbarem Trinkwasser, für den Gewässerschutz und den Schutz vor Hochwasser und Trockenheit eröffnen. Auch beim Erreichen nachhaltiger Konsummuster oder intelligenter Mobilitätsziele wird der Digitalisierung großes Potential zugeschrieben. Nicht zuletzt sollen digitale Innovationen bei der Planung, Errichtung und Instandhaltung von klimaneutralen Gebäuden eine zentrale Rolle spielen. Doch während die einen die Digitalisierung als notwendenden Heilsbringer feiern, warnen andere vor den Schattenseiten einer Entwicklung, deren ökologische Folgen zu wenig bedacht werden bzw. noch kaum abzuschätzen sind.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Der Frage, ob die digitale Transformation der Umwelt nützt, gehen Experten des Umweltbundesamtes in ihrem Dossier „Digitalisierung & Nachhaltigkeit“ nach. Analysiert wird die Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei kommen auch digitale Umweltprobleme zur Sprache. „Den positiven Effekten der digitalen Transformation für Klima und Umwelt stehen befürchtete Nachteile gegenüber. Sie erfordern eine genaue Beobachtung, Beforschung und Bewertung“, heißt es etwa in Bezug auf den steigenden Ressourcenbedarf. So erfordert die Digitalisierung in allen Lebensbereichen etwa den Einsatz elektronischer Bauteile, in denen oft Seltenerdoxide zum Einsatz kommen. Der Abbau von Neodym, Terbium oder Dysprosium erfolgt fast ausschließlich in der Volksrepublik China, vornehmlich in der Region Baotou, und führt zu erheblichen toxischen Freisetzungen in Luft, Wasser und Boden – mit negativen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Vegetation. Auch die Gewinnung mineralischer und metallischer Rohstoffe für elektronische Bauteile sorgt für Umweltbelastungen und soziale Missstände. Nur zwei von vielen Beispielen: Im brasilianischen Amazonasgebiet sind die Flüsse  im Gebiet der Waimiri-Atroari durch den Zinn- und Tantalbergbau dauerhaft verschmutzt und im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist von Blutmineralien die Rede (Wolfram, Zinn, Tantal, Gold), weil der illegale Handel damit den Bürgerkrieg finanziert. „Angesichts des steigenden Bedarfs an Seltenerdoxiden und mineralisch-metallischen Rohstoffen sind ein globales Recyclingsystem und die Erforschung von Ersatzmaterialien geboten. Die Umwelt- und Sozialbedingungen der Rohstoffförderung müssen erheblich verbessert werden“, fordern die Experten.

Elektronikschrott, Strahlenbelastung

Zu bedenken gilt auch die Zunahme an Elektronikschrott. Denn Sensoren und vernetzte Geräte, deren Verbreitung sich vor allem im Zuge des Internet of Things (IoT) massiv erhöht, müssen nicht nur produziert, sondern am Ende des Lebenszyklus auch entsorgt werden. Laut Schätzungen aus einem UN-Bericht werden 75 Prozent der Elektroabfälle nicht ordnungsgemäß recycelt und meist illegal nach China, Indien oder Afrika exportiert. Dort enden sie in offenen Deponien wie in Agbogbloshie, Ghana, wo sie unter hohen Gefahren für Mensch und Umwelt demontiert und verwertet werden. „Diese Problematik erfordert internationale Anstrengungen und eine konsequente Umsetzung der Bestimmungen der Basler Konvention über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung“, so die Forderung der Experten des Umweltbundesamtes, die ebenfalls das noch weitgehend unerforschte Thema der Strahlenbelastung ins Treffen führen. Die Rede ist insbesondere vom weltweiten Ausbau der 5G-Technologie, die als Grundvoraussetzung für Digitalisierungsprojekte im Bereich des automatisierten Fahrens und des IoT gehandelt wird. Damit einher geht der Einsatz von höheren und energiereicheren Frequenzbändern. „Welche Auswirkungen die elektromagnetischen Felder auf DNA, Zellen oder Organsysteme haben, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden und erfordert jedenfalls ausführliche Forschungsarbeiten“, heißt es dazu im Umweltbundesamt-Dossier.

CO2-Bilanz im Datenverkehr

Die ökologische Zweischneidigkeit von Technologien wie 5G betonen auch Organisationen wie Greenpeace. „Bei gleicher Datenmenge benötigt 5G weniger Energie als 4G. Diese Leistungsfähigkeit wird jedoch den starken Anstieg des übertragenen Datenvolumens nicht kompensieren. Wir erwarten eine deutliche Steigerung des Stromverbrauchs im digitalen Bereich“, so ein Sprecher von Greenpeace Frankreich. Dass die Digitalisierung zu wachsendem Energieverbrauch und so zur potenziellen Belastung der Umwelt beiträgt, ist unbestritten. Über die Größe des Umweltfaktors des beileibe nicht immateriellen Internets herrscht in der breiten Öffentlichkeit noch wenig Bewusstsein.

Ein Musterbeispiel für einen oft unterschätzten Verursacher von Treibhausgasen ist der Versand von E-Mails. So entspricht die CO2-Produktion bei einem normalen E-Mail etwa der Klimabilanz eines Plastiksacks. Die französische Fernsehanstalt France Télévisions hat berechnet, dass ein Angestellter durchschnittlich pro Tag 33 E-Mails verschickt und 55 empfängt. Dabei entstehen so viele Treibhausgase wie bei einer elf Kilometer langen Autofahrt. Dazu kommt der Verbrauch von rund zwölf Liter Wasser für die Kühlung von Servern. Berechnungen dieser Art stellt man auch am Borderstep-Institut für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin an. Energieforscher Ralph Hintemann: „Wir schreiben in Deutschland rund eine Milliarde E-Mails pro Tag. Dabei fallen 1000 Tonnen Kohlenstoffdioxid an – so viel wie bei 5000 Flügen von München nach Berlin. Eine Stunde Video-Streaming produziert etwa die Menge an CO2 wie ein Kilometer Autofahren.“ Das weltweite Streaming von Videos und Filmen (gereiht nach Nutzungsanteilen: Video-on-Demand von Streamingdiensten, Pornografie, Tubes, soziale Netzwerke), das laut einer Studie des französischen Thinktanks The Shift Project 60 Prozent des gesamten Online-Datenverkehrs ausmacht, verursacht jedes Jahr 300 Millionen Tonnen CO2 – eine Umweltbelastung so hoch wie die von ganz Spanien. Auch bei Suchanfragen entsteht das Klimagas: Laut Google produziert eine Anfrage etwa 0,2 Gramm CO2. Bei aktuell weltweit rund einer Million Suchanfragen pro Sekunde ergibt sich pro Minute googeln eine CO2-Belastung, die dem klimaverträglichen Halbjahresbudget eines Menschen gleichkommt.

Jüngste Studien gehen davon aus, dass die IT aktuell für etwa zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die kalkulierten 800 Millionen Tonnen CO2 entsprechen in etwa dem gesamten CO2-Ausstoß eines Landes wie Deutschland. Bis 2025 sollen es acht Prozent werden. Damit hätte die IT dem weltweiten Autoverkehr in Sachen Umweltbelastung den Rang abgelaufen.

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