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Das Gebäude in Echtzeit besser verstehen

Wie kann man sich ein Smart Building in seiner höchsten Entwicklungsstufe vorstellen? Peter Staub von der Hochschule für Wirtschaft Zürich erklärt, wie die digitale Transformation in der Bau- und Immobilienbranche angegangen werden muss.

Smartphone, Smart TV, Smart Home etc. Vieles in unserer Welt ist in den letzten Jahren „smart“ geworden. Der Begriff erfreut sich einer inflationären Verwendung, was seine Bedeutung zuweilen verwässert. Ab wann würden Sie etwas als „smart“ bezeichnen?

Peter Staub: Smarten Objekten gemeinsam ist die Fähigkeit, die vom Nutzer produzierten Daten automatisch zu sammeln, auszuwerten und mit anderen zu teilen. Smart bedeutet in diesem Zusammenhang also kommunikationsfähig und vernetzt, aber auch personalisierbar, kontextsensitiv und unmittelbar reaktiv auf äußere Veränderungen.

Auch Gebäude können mittlerweile smart sein. Das Smart Home als intelligent vernetztes Haus, das seinen Nutzern maximalen Komfort bietet, ist ja schon seit vielen Jahren ein geläufiger Begriff. Wesentlich seltener ist vom Smart Building die Rede. Wo liegen die Unterschiede?

Mit dem Smart Home wird die Digitalisierung der eigenen vier Wände bezeichnet. Smart bezieht sich in diesem Fall auf die Vernetzung intelligenter Geräte im Eigenheim und äußert sich entsprechend in der sprachgesteuerten Verwaltung von Audiogeräten, der Temperaturregelung auf dem Smartphone oder automatischen E-Mail-Benachrichtigung der Nest Cam im Fall von verdächtigen Vorgängen. Dabei verfolgt das intelligente Zuhause stets das Ziel, seinen Bewohnern den individuellen Alltag zu vereinfachen sowie die Lebensqualität und Sicherheit zu erhöhen.
Ein Smart Building befasst sich derweilen mit der Digitalisierung des gesamten Gebäudes. Im Kern konzentriert es sich auf die automatisierte Steuerung der technischen Ausstattung zum Zweck einer gesteigerten Gebäudeeffizienz, einer möglichst positiven Energiebilanz und verfolgt insbesondere das Ziel, Kosten und Treibhausgasemissionen einzusparen. Smart Buildings können Bürokomplexe, Gewerbeliegenschaften, aber auch Ein- oder Mehrfamilienhäuser oder ganze Überbauungen sein.

Wie kann man sich ein Smart Building in seiner höchsten Entwicklungsstufe vorstellen?

Der aktuelle Betriebszustand und die Vorgänge in der unmittelbaren Umwelt werden durch eingebaute, digital vernetzte Sensoren und externe Datenquellen erfasst und überwacht. Mittels eingebetteter Software oder Internetplattformen kann aktiv in den laufenden Betrieb eingegriffen werden, um so eine kontinuierliche Optimierung der einzelnen Funktionen sicherzustellen. Ein Smart Building ermöglicht uns dadurch, das Gebäude in Echtzeit besser zu verstehen. Der Gebäudebetrieb, das Management der technischen Anlagen, die Auslastung, Pflege und Instandhaltung können durch sinnvolles Monitoring genauer und bedarfsgerechter geplant und umgesetzt werden. Am Ende steht die Fähigkeit des Gebäudes zur Selbstdiagnose und zur autonomen Betriebssteuerung.

Im Zusammenhang mit smarter Technologie fällt häufig der Begriff der Predictive Maintenance. Was genau ist damit gemeint?

Mit der Sammlung von Daten allein ist es wie gesagt nicht getan. Erst deren Analyse und Vernetzung führt zu Innovationen in klassischen Bereichen wie der Haustechnik und Infrastruktur, erlaubt eine individualisierte Gebäudenutzung und verbessert die Datensicherheit. Basierend auf der Auswertung von Prozess- und Maschinendaten wie auch dem Nutzerverhalten können Visualisierungen von Messdaten eine vorausschauende Gebäudewartung und Instandhaltung sicherstellen. Diese sogenannte Predictive Maintenance dient als Entscheidungsgrundlage für das Steuern und Regeln sowie das Warten und Reparieren von Haustechnikanlagen und Systemen. Das bedeutet, dass Teile in Zukunft nicht mehr turnusgemäß nach Wartungsvertrag ausgewechselt werden, sondern nur noch nach Bedarf. Das soll maßgebliche Kosteneinsparungen bringen.

Smart Buildings sollen nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch sinnvoll sein. Wie?

Nur wenn wir Werte gezielt erheben, standardisiert erfassen und strukturiert ausweisen, lassen sich Mehrjahresvergleiche einschätzen, gesetzliche Vorgaben überhaupt erst überprüfen sowie ungenügende Datenpunkte verbessern. Daten sind insofern der Schlüssel zu einer besseren Umweltbilanz. Lassen Sie mich das anhand eines konkreten Anwendungsbeispiels eines End-to-end-Ansatzes erläutern.
Energiebezogene Daten wie Temperatur, Luftdruck oder Stromverbrauch werden mithilfe von Sensoren innerhalb einer sicheren Messinfrastruktur erfasst und Aktoren wie Lüftungsklappen, Licht oder Audio lösen bestimmte Reaktionen im Gebäude aus. Wenn der Wärmesensor in einem Raum eine Temperaturüberschreitung meldet, leitet die örtliche Gebäudeintelligenz diese Information an das Heizsystem zur Reduktion der Raumtemperatur weiter. Die gesammelten Daten werden über das ganze Gebäude hinweg berechnet, gespeichert und weiterverarbeitet, zum Beispiel mithilfe eines Gebäudeleitsystems. Die (anonymisierten) Daten können innerhalb und außerhalb des Objekts – beispielsweise unter einzelnen Mietparteien oder mit Energienetzbetreibern – automatisch ausgetauscht werden. Diese Vernetzung stellt den Datentransfer aus dem Gebäude hin zu einer übergeordneten zentralen Datenablage sicher. Nur so lassen sich Daten zur Bildung von digitalen Dienstleistungen nutzen und zielführend im Rahmen von digitalen Ökosystemen konsolidieren. Die Daten können für eine Vielzahl von End-Anwendungen eingesetzt werden, etwa zur Erstellung einer automatisierten Nebenkostenabrechnung, für den Erhalt von Push-Notifikationen zu Anlagezuständen oder für die grafische Darstellung von Verbrauchszahlen in Nachhaltigkeitscockpits.

Wie weit ist man von der Realisierung dieser digitalen Vision entfernt? Und was muss dafür getan werden?

Was in der Theorie einfach klingt, stellt Immobilieneigentümer in der Praxis vor komplexe Herausforderungen. Am Beispiel der Schweiz: Wenn wir den Energieverbrauch aller Schweizer Immobilien bis 2050 halbieren wollen, müssen einerseits die bestehenden haustechnischen Anlagen optimiert und nutzerspezifisch passend eingestellt und andererseits bei Neubau- oder Gesamtsanierungsprojekten die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) eingehalten werden. Diese Schwierigkeiten lassen sich nur gemeinsam überwinden – die digitale Transformation in der Bau- und Immobilienbranche muss demnach im Verbund angegangen werden. Erforderlich sind ein aktives Change-Management und die kontinuierliche Weiterbildung von smarten Köpfen. Letzterem verschreiben wir uns an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich mit dem CAS (Certificate of Advanced Studies) Digital Real Estate, das einen ausgezeichneten Einstieg in dieses spannende, weitläufige Themenfeld bietet.

Im Interview: Peter Staub

Peter Staub ist Dozent und Studiengangsleiter des CAS Digital Real Estate an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. 1996 gründete er die pom+Consulting AG, ein auf die Bau- und Immobilienbranche spezialisiertes Beratungsunternehmen mit Fokus auf u. a. digitale Transformation, Nachhaltigkeitsberatung  und Life Cycle Data Management. 25 Jahre führte er die Unternehmung als CEO und gewann mit seinem Team den European EFQM Excellence Award in Brüssel. Im Februar 2021 wechselte er als Präsident in den Verwaltungsrat. Er bekleidet Vorstandspositionen in verschiedenen branchenumfassenden Vereinen, amtet als Präsident der Group of Fifteen und ist Gründungsmitglied der International Building Performance and Data Initiative (IBPDI) in Partnerschaft mit Rics, Microsoft und BuildingMinds. 2017 rief er an der HWZ den europaweit ersten CAS Digital Real Estate ins Leben und beschäftigt sich seither eingehend mit der Weiterbildung von Entscheidungsträgern, die die Digitalisierung als Chance betrachten.

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