Urteil

EuGH-Pardon für Kräuterpfarrer: Keine scharfe Haftung für falschen Kren-Tipp

Eine „Krone"-Leserin verletzte sich wegen eines sogenannten Gesundheitstipps schwer. Das EU-Höchstgericht sieht darin aber keinen Fall der strengen Produkthaftung.

Ein falscher Tipp in einer Zeitung löst nicht jene strenge Produkthaftung aus, die für fehlerhafte körperliche Gegenstände gilt. Das hat der Gerichtshof der EU (EuGH) in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil entschieden. Der Fall war vom österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH) an die Höchstrichter in Luxemburg herangetragen worden, nachdem sich eine Leserin der „Kronen Zeitung“ infolge eines krass falschen Tipps schwer verletzt hatte.    

In der Rubrik „Hing´schaut und g´sund g´lebt“ hatte „Kräuterpfarrer Benedikt“ in einer Regionalausgabe den Rat gegen Rheumaschmerzen gegeben: „Schmerzfrei ausklingen lassen – Eine Auflage aus geriebenem Kren“. Frisch gerissener Kren könne nämlich mithelfen, die Schmerzen zu verringern. Die betroffenen Stellen sollten zunächst mit einem fettigen pflanzlichen Öl oder mit Schweineschmalz eingerieben werden, dann lege man geriebenen Kren darauf und presse ihn an. „Diese Auflage kann man durchaus zwei bis fünf Stunden oben lassen, bevor man sie wiederum entfernt.“

Stunden statt Minuten

Eine Abonnentin beherzigte den Tipp und wandte die Auflage genau wie beschrieben an. Sie beließ einen Verband am linken Sprunggelenk für etwa drei Stunden und nahm ihn erst ab, als es bereits zu starken Schmerzen gekommen war. Die im Kren enthaltenen scharfen Senföle hatten eine toxische Kontaktreaktion hervorgerufen. Wie sich herausstellte, war der Tipp grob falsch: Statt zwei bis fünf Stunden hätte es heißen müssen: zwei bis fünf Minuten.

Die „Krone“-Leserin klagte deshalb ihre Zeitung auf 4400 Euro Schadenersatz. Sie habe auf die Angaben der Beklagten zur Behandlungsdauer vertraut und sich entsprechend behandeln lassen, wodurch sie schwere Verletzungen erlitten habe. Die Medieninhaberin wandte ein, für den Kräuterpfarrer nicht verantwortlich zu sein. Er sei ein externer und ausgewiesener Experte der kräuterkundlichen Heilkunst. Sie habe sich auf seine Expertise bislang stets verlassen können, vergleichbare „Schadensfälle“ seien ihr bisher nicht bekannt geworden. Und entwaffnend ehrlich weiter: Die betreffende Regionalausgabe sei ein Boulevardmedium, es könne nicht von einer Zusage der Richtigkeit des Beitrags ausgegangen werden.

Verschuldensunabhängige Haftung nur für Produkte

Rechtlich stellte sich die Frage, ob die strenge, weil verschuldensunabhängige, Produkthaftung greift. Das würde voraussetzen, dass nicht nur das physische Exemplar einer Zeitung als Produkt anzusehen ist – das Papier, die Druckfarbe, etwaige Heftklammern –, sondern auch der gedankliche Inhalt. Die Frage ist umstritten, deshalb ersuchte der Oberste Gerichtshof den EuGH um Vorabentscheidung, ob als (fehlerhaftes) Produkt nach der Produkthaftungs-Richtlinie auch ein Druckexemplar einer Tageszeitung anzusehen ist, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthielt, dessen Befolgung zu einer Verletzung einer Leserin geführt hat.

Ein Tipp ist kein Produkt

Der EuGH unterscheidet genau zwischen einer Dienstleistung wie dem erwähnten Rat und dem physischen Produkt und dessen Eigenschaften. Ein Fehler im Sinn der strengen Produkthaftung müsse der Sache selbst innewohnen und mit ihrer Darbietung, ihrem Gebrauch oder dem Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens zusammenhängen. Im Kren-Wickel-Fall bezog sich der unrichtige Ratschlag aber nicht auf die gedruckte Zeitung und betraf auch nicht deren Darbietung oder Gebrauch. Der falsche Tipp ist daher kein fehlerhaftes Produkt (Rechtssache C-65/20).

Über den Schadenersatzanspruch selbst muss jetzt noch der OGH entscheiden. Ohne Verschulden wird die „Krone“ wohl nicht haften.

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