Kino

Ein neuer Blick auf Tina Turner

Polyfilm
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Die Filmdoku „Tina“ erzählt das Leben der großen Kämpferin auf eine stille, aber dafür umso eindringlichere Weise.

Es war kein gutes Leben“, sagt Tina Turner zu Beginn. „In manchen Bereichen schon, aber das Gute glich das Schlechte nicht aus. Ich will nicht daran erinnert werden. Es ist ein wenig so, wie wenn man alte Kleider anziehen würde.“ Dafür hat sie sich aber oft und viel erklärt: Zwei Biografien, zwei Biopics und ein Musical erzählten bisher von ihrem gar nicht patscherten Leben. In der Eröffnungsszene des neuen Werks wird klar, dass ihr lange Zeit die Bühne realer erschien als ihr echtes Leben. Turner tänzelt vor Tausenden Zuschauern und singt das groovige „Ask Me How I Feel“, ein Lied, das sie 1989 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere aufgenommen hat. Exakt mit jener Rauheit in der Stimme, die vielen als Inbegriff des Erotischen gilt.

Die Filmemacher Dan Lindsay und T. J. Martin haben für ihre 118 Minuten dauernde Dokumentation „Tina“ nachgefragt, wie es ihr geht. Bei Tina Turner selbst und bei einer Vielzahl an Weggefährten. Auch Archivmaterial wurde eingearbeitet. TV-Talkshow-Host Oprah Winfrey, Manager Roger Davies, ihr erster Biograf, Kurt Loder, die Schauspielerin Angela Bassett, die Tina Turner im 1993 edierten Biopic „What's Love Got to Do with It“ mimte: Sie alle durften reichlich Auskunft geben. Sogar Ehemann Erwin Bach gewahrt diskrete Einblicke.

In einem 2019 gefilmten Interview erinnert sich Tina selbst an die nervenzerfetzende öffentliche Aufarbeitung ihrer harten Jahre mit ihrem ersten Ehemann, Ike Turner. Was schön begann, wurde recht bald toxisch. Der 2007 verstorbene geniale Musiker formte aus der eher schüchternen Anna Mae Bullock eine rasant tanzende und sexy singende Kunstfigur. Gemeinsam glückten Welthits wie „River Deep, Mountain High“, „Proud Mary“ und „Nutbush City Limits“.

Die Hölle hinter dem Glanz

Aber hinter dem Talmiglanz des Starlebens verbarg sich eine veritable Hölle. Tina wurde von Ike gedemütigt und regelmäßig verdroschen. 1976 zog sie den Stecker und flüchtete eines Nachts während einer Tournee aus dem Hotel, um nie mehr zurückzukommen. Erst 1981 gab sie erste Einblicke in ihre Ehehölle. Der damalige Interviewer des „People Magazine“, das 30 Millionen Leser hatte, erzählt im Film davon, dass Tina von Folter in ihrer Ehe sprach. Das Schöne und das Hässliche hält sich die Waage in diesem Streifen, der sich entlang erdiger Songs recht chronologisch durch die mit Schmerzen bezahlte Karriere hangelt.

Tina selbst verliert kein wirklich böses Wort über ihren Ex-Ehemann, weil sie praktizierende Buddhistin und von noblem Charakter ist. „Er hatte eine kranke Seele“, sagt sie knapp. Am Ende machte sie die größere Karriere, ging die größeren Wagnisse ein. Sie ließ die engen Grenzen des afroamerikanischen R&B hinter sich, um in die Gefilde von Pop und Rock zu dringen. Der Film zelebriert ihren Kampfgeist und ihren Status als Ikone (nicht nur) der Frauen. Selbst jenen, die denken, sie wüssten schon alles über Tina Turner, wird hier Neues erzählt. Auf angenehm subtile Art. Ab Freitag in den Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2021)

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