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Seestadt Aspern: Vom Acker zum Stadt-Labor

Katja Schechtner und Wojciech Czaja im Seepark.
Katja Schechtner und Wojciech Czaja im Seepark.Christopher Dickie
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Mit den „Frauen bauen Stadt“-Kuratoren Katja Schechtner und Wojciech Czaja unterwegs durch das neue Aspern – mit Blick auf Architektur und Eiscreme.

Als hätte man eine Handvoll Urbanität gesät und fleißig gegossen, steht die Seestadt hoch aufgeschossen auf dem flachen Feld im Wiener Norden. Der Wind pfeift über den Jane-Jacobs-Steg, rauscht durch die Bäume, über die Pferdchen und Bötchen im Seepark und verfängt sich im Haar von Katja Schechtner. Die Urbanitätsforscherin ist mit ihrem Kuratorkollegen Wojciech Czaja unterwegs in der Seestadt im Sonnenschein des ersten Sommertags. „Der Steg ist toll“, meint sie. „Und auch der Name. Sie wissen, Jacobs hat Greenwich Village in New York gerettet. Eine Vorreiterin der sanften Stadterneuerung.“
Nach bedeutenden Frauen sind in der Seestadt zahlreiche Straßen benannt, die Ausstellung „Frauen bauen Stadt“ präsentiert nun bis Oktober Werke von 18 Stadtplanerinnen und Architektinnen auf dem Wangari-Maathai-Platz. Unübersehbar bunt und mit großen Lettern, sodass sich Erstklassler auch zum Buchstabieren dort aufhielten. „Die lernen lesen mit unseren Texten, das ist doch, großartig, oder?“ meint Czaja.

Jane-Jacobs-Steg.
Jane-Jacobs-Steg.Christopher Dickie

Funktionierende Plätze


Die Texte und Fotos erzählen Architekturgeschichte(n): Von Emily Warren Roebling, der Chefingenieurin der Brooklyn Bridge. Von Anna Popelka, die das Stadtmöbel Enzi erfunden und in der Seestadt die Slim City nach süditalienischem Vorbild geplant hat. Von Sozialbauten-Ikone Lina Bo Bardi. Auch Leila Araghian ist dabei: Die Planerin der 270-Meter-Fußgängerbrücke mit Open-Air-Café in Teheran „konnte aufgrund der Sanktionen gegen ihr Land nicht am World Architecture Festival teilnehmen“, erwähnt Czaja eine politische Facette. Besonders berührend die Story von Genia Awerbuch, die 1934 den Dizengoff-Platz in Tel Aviv gestaltete, „und nach deren Entwurf der inzwischen völlig veränderte Platz 2018 rekonstruiert wurde“, sagt Schechtner.

Teil der Ausstellung am Wangari-Maathai-Platz.
Teil der Ausstellung am Wangari-Maathai-Platz.Christopher Dickie

In St. Pölten aufgewachsen, hat sie es weit in die Welt gezogen, Mobilität und Urbanität sind ihr Ding. Ihre Zelte hat sie im siebenten Wiener Bezirk und in den USA aufgeschlagen, wo sie forscht und lehrt. „Bei mir war es umgekehrt“, schmunzelt Czaja, „ich bin, von Polen aus, im 3. Bezirk gelandet.“

Blick auf die Seestadt.
Blick auf die Seestadt.Cristopher Dickie


Die neue Stadt hat ihre Eigenheiten, und Böen sind nicht das Einzige, was einen hier unvermittelt anspringen kann. „Ich bin Architektur“, ruft so manches Haus, was in Summe laut werden kann. Im Innenhof der Anna-Bastel-Gasse aber ist es ruhig, der Wind säuselt ein wenig über den Hängematten. Podeste und Holzpfähle unterschiedlicher Höhe laden zur Nutzung als Spiel- und Rastplatz ein. „Solche Details machen es aus, ob Plätze funktionieren oder nicht“, meint Schechtner zur Gestaltungsidee von Carla Lo – ein Teil des Projekts Sirius. „Eine Stadt, die lebt, verändert sich“, meint Czaja. „Die autodominierte Stadt entwickelt sich derzeit zu einer mit mehr Aufenthaltsqualität, das wirkt sich auf Platz- und Straßengestaltung aus.“

Innenhof in der Anna-Bastel-Gasse, gestaltet von Carlo Lo.
Innenhof in der Anna-Bastel-Gasse, gestaltet von Carlo Lo.Christopher Dickie

Hatte früher die Strecke von A nach B so kurz wie möglich zu sein, soll sie heute auch angenehm sein – ohne das Tempo allzu sehr zu drosseln. „Besonders in der Seestadt wird viel probiert“, sagt Schechtner in Bezug auf zahlreiche Projekte. Sie kennt sie quasi alle, von Anfang an: Sie weiß, warum man im See baden darf, „denn das war nicht so geplant“, dass die Pferdchen und Bötchen im Seepark für nostalgisch-fröhliche Urlaubsstimmung sorgen sollen, und vor allem, worauf es bei Stadtplanung im Großen wie im Kleinen ankommt. „Man darf sich nie denken, jetzt bin ich fertig.“ Man müsse bereit sein nachzusehen, zu adaptieren. Was vermutlich auch den Bänken am Maria-Trapp-Platz gefallen könnte, deren Lehnen nicht ganz im Sinn des Erfinders sein dürften.
Egal, den Eisgenuss vom Eissalon Schwedenplatz trüben weder Stilbrüche noch Sommerwind, sondern nur eines: dass es (noch) keinen Eiscafé gibt.

Zum Ort, zu den Personen

Die Seestadt wird seit 2004 geplant und seit 2010 auf dem ehemaligen Flugfeld Aspern in der Donaustadt errichtet: Auf 240 Hektar entstehen rund 10.500 Wohnungen, 15.000 Arbeitsplätze in Büros und 5000 in Gewerbe, Wissenschaft, Forschung und Bildung. Neue Eigentumswohnungen kosten in der Donaustadt rund 4784 Euro/m2.

Katja Schechtner ist in Wien (TU) und den USA (MIT) als Urbanitäts- und Mobilitätsforscherin tätig, Wojciech Czaja ist Autor in Wien.

> > > Zum „Presse"-Artikel: „Wenn Frauen Städte bauen"

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