Quergeschrieben

Die Farbe Grün und der Jammer mit der Glaubwürdigkeit

Linz sollte von Berlin vor der nächsten Wahl lernen.
Linz sollte von Berlin vor der nächsten Wahl lernen.Reuters
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Zwei Parteitreffen der Grünen unter gänzlich anderen Vorzeichen, aber keinem günstigen Stern. Was Linz von Berlin vor der nächsten Wahl lernen sollte.

Zufälle gibt es! Wie jene dieses Wochenende. Politisch dominiert die Farbe Grün – in Linz wie in Berlin. Hier der Bundeskongress der Grünen, dort die Bundesdelegiertenkonferenz des Bündnisses 90/Die Grünen. Bedeutend sind beide.
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Hier eine Partei mit Regierungsbeteiligung und prekären Umfragewerten, einem Parteichef als Vizekanzler, vorläufig noch unbestritten. Dort eine Partei im Vorfeld eines Wahlkampfes mit Kanzleramtsanspruch und einer designierten Spitzenkandidatin, vorläufig jedenfalls.

Die beiden Parteitreffs könnten unterschiedlicher nicht sein. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit, die entscheidend für ihr weiteres Schicksal ist: Es geht um Glaubwürdigkeit. Bei allem Unvergleichbaren täten die österreichischen Grünen gut daran, der Zusammenkunft in Berlin die allergrößte Aufmerksamkeit zu schenken.

Denn so schnell kann es gehen. Es ist keine acht Wochen her, da überschlugen sich Medien in Deutschland in Euphorie über die Entscheidung der deutschen Grünen, Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin zu küren. Die Umfragewerte gaben das her. Jetzt, keine zwei Monate später, sollten keine Wetten abgeschlossen werden, dass die „Frau für alle Fälle“ („Spiegel“), die „talentierteste Politikerin“ („Die Zeit“) am Ende des Tages nicht doch ihre Spitzenposition an Co-Vorsitzenden Robert Habeck übergeben wird müssen.

Es geht um Integrität. Mehrfach geänderter, angeblich geschönter Lebenslauf? Unklare Angaben? Unterlassene Meldungen von Geldzuwendungen. Kann jemand wirklich Anspruch auf die Spitzenposition in Deutschland erheben, der „unwillentlich einen missverständlichen Eindruck erweckt“, den er „nicht erwecken wollte“; der jetzt erst die „Lektion“ gelernt hat, dass offizielle Angaben „unbedingt einer gründlichen Kontrolle“ bedurft hätten?

Es geht um Redlichkeit. Mitte April ist das Bündnis 90 in den Umfragen der regierenden CDU gefährlich nahe gekommen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vor einer Woche schlugen die hohen Erwartungen in tiefe Enttäuschung um. In puncto Glaubwürdigkeit hat Baerbock – auch in diversen TV-Auftritten – schweren Schaden erlitten. Wahrscheinlich würde sie sich selbst und der Sache der Frauen in der Politik einen großen Gefallen tun, reagierte sie nun anders als in der Politik üblich: mit Einsicht, eine riesige Chance verspielt zu haben, ergo mit Rückzug in die zweite Reihe.

Warum das die österreichischen Grünen, unruhig im Koalitionsbett mit der ÖVP, interessieren sollte? Weil sie in dieser Position ihr Konto an Glaubwürdigkeit bereits erheblich überzogen haben – zuletzt bei Abstimmungen im Gleichbehandlungsausschuss, wo sie Hotlines und Beratungsstellen für LGBTIQ-Jugendliche, entsprechende Jugendzentren und Lehrmaterial sowie eine nationale Kampagne gegen Homophobie abgelehnt haben – von allen anderen Fällen des Koalitionszwangs ganz zu schweigen. Sollten Kogler und Co. glauben, überzeugte Grün-Wähler hätten ohnehin keine Alternative, sollten sie nochmals das Wahlergebnis 2019 studieren: Für die FPÖ waren Nichtwähler entscheidend.

Der zweite Grund, warum Berlin die höchste Aufmerksamkeit von Linz verdient: Auch Justizministerin Alma Zadić war 2020 mit jeder Menge Vorschusslorbeeren bedacht worden. Ihre bisherige Amtsführung lässt nicht erkennen, dass daraus ein attraktiver Kranz geworden ist. Ihr Auftritt im „ZiB 2“-Interview Donnerstagnacht lässt vielmehr befürchten, dass auch sie ihr Heil in der ÖVP-Schablone der immer gleichen Antworten – unabhängig von der Frage – sucht. Zadić wird ein starkes Führungszeichen setzen müssen, will sie in der Rolle der Schutzpatronin der Justiz glaubwürdig werden.

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