Macbeth und seine grausigen Rabenviecher

Staatsoper. Verdi mit Netrebko und Salsi als egomanem Paar: Philippe Jordan sorgt am Pult für die Schärfe und Präzision, die Sängern und Regie etwas fehlt.

Dass „Federn“ im Wienerischen ein Synonym für Angst ist, beschert dieser Staatsopernpremiere einen Treppenwitz. Schwarze Federn rieseln aus den Händen der Lady Macbeth nach dem ersten Mord, und zuletzt, wenn Macbeth auf offener Bühne von hinten erdolcht wird, reißt ihm Macduff eine Fülle davon aus dem Rücken: Federn als Symbol für Blut, schwarz, gestockt, grausig. Aber Federn im übertragenen Sinn hatte offenbar Regisseur Barrie Kosky – und erschien post festum nicht vor dem Vorhang. Die Ausläufer seines Staatsoperndebüt-Traumas, verursacht durch die Buhstürme 2005 anlässlich seiner „Lohengrin“-Inszenierung?

Ein Albtraum, gewiss. Aus Albträumen schreckt man keuchend und verschwitzt empor – und so geht es vor allem Koskys Macbeth: Immer wieder reißt er im Dunkel von Klaus Grünbergs Bühne japsend Mund und Augen auf oder fällt zuckend zu Boden. Erst nach seinem Tod (!) scheint er mit seinem Wahnsinn Frieden zu schließen, an der Seite von ein paar an Hitchcock gemahnenden Krähen – war alles nur Einbildung? Auch die Lady führt nachtwandelnd einen einseitigen Dialog mit einem schwarzen Vogel . . .

In mystische Finsternis getaucht

Albträume wird einst Ioan Holender wohl keine gehabt haben, als 2009 Vera Nemirowas Neuinszenierung von Verdis „Macbeth“ herauskam. Der größte Regieskandal seiner Amtszeit wurde es dennoch, nach nur sechs Aufführungen verschwand die Produktion – und ein wichtiges Stück des Verdi-Kanons fehlte wieder im Repertoire. Barrie Koskys ganz reduzierte, in mystische Finsternis getauchte und auf die beiden egomanisch-symbiotischen Protagonisten zugeschnittene Sicht behebt nun jenes Problem, das seit 2015 eigentlich nicht mehr bestanden hat: Damals hatte nämlich Christian Räth Dominique Meyer eine unspektakulär-praktikable Deutung geliefert.

Die ist nun auch Geschichte. Eine objektive Lücke schließt allerdings die Besetzung: Endlich ist Anna Netrebko auch in Wien als Lady Macbeth zu erleben, die sie seit 2014 singt – und möglicherweise war sie nur mehr mit einer Neuinszenierung dafür zu haben. Dabei ist Koskys „Macbeth“ gar keine solche, die Produktion kam 2016 in anderer Besetzung in Zürich heraus, wurde dort mehrheitlich gefeiert und gelangte nun in Bogdan Roščićs Einkaufswagerl an die Staatsoper.

Netrebko, die Vielgerühmte, ist der Lady eigentlich schon entwachsen. Längst fühlt sie sich mit Puccinis Kantilenen wohler, in denen sie sich entsprechend suhlen kann, als beim mittleren Verdi, der von seinen Sopranen ein Höchstmaß an Agilität verlangt: Sie wirkt eher eingeengt durch den verzierten Gesang, der seinen Ausdruck auch aus der virtuosen Brillanz zieht, die hier, etwa im Trinklied, vielleicht besonders kalt funkeln sollte. Freilich mobilisiert sie in der Tiefe alles, was ihre Stimme an gutturaler Fülle hergibt, die Mittellage trägt und im ersten Akt pfeffert sie im Ensemble ein hohes Des im Fortissimo hinaus. Aber dass derselbe Ton dann als schaurig-schöne, schwebende Pianissimo-Klimax der Schlafwandelszene nicht ganz sauber getroffen ist und flattert, enttäuscht den Connaisseur ebenso wie ihre diversen Koloratur-Näherungswerte.

Salsi – auch als Typ sehr passend besetzt

Dass die Expression in Summe aber doch stimmt, liegt in erster Linie an Philippe Jordan am Pult. Wie er Netrebko und ihren Macbeth, den auch als Typ überaus passend besetzten Luca Salsi, auf Flüstergesang einschwört, wo Verdi das gewünscht hat, wie er in den Tempi Strenge walten lässt, ohne die Stimmen zu missachten, und vor allem, wie er die Orchesterfarben mischt, das schnitzt ein kantiges und zugleich differenziertes Profil. Gerade in den Hexenszenen prickelt und brodelt es im Graben, als lauschte man in eine Alchemistenküche hinein. Zu einem Teil erkauft wird das allerdings dadurch, dass der Staatsopernchor zumeist als unsichtbare schwarze Masse aus den seitlichen Gassen her singt und fallweise auch halb zischt, ein genau dosierter Effekt. Das nimmt zwar Volumen weg, aber ermöglicht mehr Präzision – und Jordan bringt es hier wie in den Erscheinungen des 3. Aktes fertig, dass nichts zirkushaft, folkloristisch oder banal tönt.

Bei der Klage von „Patria oppressa“ werden aus der unsichtbaren Schar Individuen, und Freddie De Tommaso tränkt die Arie des Macduff mit Tenorpathos der alten Schule. Herkömmliche Massenszenen sind dagegen verbannt, ein nackter, hermaphroditischer Bewegungschor vertritt eher innere Stimmen und Bedrohungen als reale Personen oder Hexen; für das Festbankett reichen geworfene Papierschlangen. Die Beschränkungen wirken zumindest so lang stringent, bis insbesondere Salsi dann doch wieder konventionelle Gesten unterlaufen. Vokal schöpft er zumeist aus weicher Fülle, gerät aber manchmal etwas zu sehr ins Rufen. Dass er die Sterbe-Arie aus der Erstfassung singt, wenn auch differenziert, mag aus dem Regiekonzept heraus begründbar sein, bleibt aber ein Missgriff: Verdi wusste genau, warum er seinem Antihelden in der Zweitfassung einen „schönen“ Operntod verweigert und ihn anonym hinter der Bühne fallen lässt. Die Sieger schreiben die Geschichte mit dem archaischen a-Moll-Marsch, den Jordan gleichsam sporenklirrend ertönen lässt. Auf ganzer Linie freilich lässt sich mit „Macbeth“ in Wien, so scheint's, nicht siegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2021)

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