Ethikkommissionen

Zeitlose Fragen aktuell beantworten

Am Beginn eines Forschungsprojekts steht immer öfter die Expertise einer Ethikkommission.
Am Beginn eines Forschungsprojekts steht immer öfter die Expertise einer Ethikkommission. Getty Images
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Immer mehr Hochschulen verfügen über eine entsprechende Kommission, die Forschungsvorhaben unter ethischen Gesichtspunkten unter die Lupe nimmt.

Grundsätzlich sieht das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung dann Ethikkommissionen an Hochschulen vor, wenn die angewandte Forschung am Menschen einer Prüfung und kritischen Beurteilung unterzogen werden muss. Ihre Zusammensetzung sollte breit sein, also auch externe Gutachter beinhalten. Das garantiere eine hohe ethische und fachliche Kompetenz bei der Prüfung der Forschungsvorhaben und dem Schutz der betreuten Personen. So ist auch die Ethikkommission an der Universität für Bodenkultur gestaltet: „Sollte die Expertise nicht ausreichen, können wir zusätzlich externe Experten hinzuziehen“, sagt deren Vorsitzender, Josef Glößl. Gegründet wurde die Ethikkommission der Boku 2020. Bereits 2011 hatte die Boku eine Ethikplattform eingerichtet, um die systematische Diskussion ethischer Fragen intern zu stimulieren. 2015 beschlossen Rektorat und Senat die durch die Plattform entwickelte Ethik-Charta. Insofern war man auf das Einrichten einer Kommission mit klar umrissenen Aufgabenstellungen gut vorbereitet: „Wir werden angerufen, wenn es um Forschungsvorhaben an und mit Menschen, beispielsweise in sozialwissenschaftlichen Studien, oder um Forschungsprojekte an und mit Tieren geht“, berichtet Glößl.

Mehr Stellungnahmen gefragt

Mit dem Ende des europäischen Horizon-2020-Forschungsrahmenprogramms und dem Start des Nachfolgers Horizon Europe habe die Nachfrage nach Stellungnahmen zugenommen: „Vielfach wird bereits in der Ausschreibung darauf hingewiesen, dass mit dem Forschungsantrag die Stellungnahme einer Kommission mitgeliefert werden muss.“

Auch an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien wurde 2016 eine Ethikkommission eingerichtet. Sie wird auf Antrag von Mitarbeitern oder Studierenden angerufen, die Forschungsprojekte durchführen wollen, die Untersuchungen an oder mit Menschen beinhalten. „Insbesondere geht es hier um invasive Untersuchungsmethoden, beispielsweise im Rahmen von physiologischen Experimenten, zunehmend aber auch um Datenschutz“, erklärt Thomas Stegemann, stellvertretender Vorsitzender der Ethikkommission. Diese hat zu beurteilen, ob im Zuge eines Forschungsvorhabens der Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Versuchspersonen und der Forschenden angemessen gesichert sind. Auch Stegemann beobachtet einen zunehmenden Bedarf an Stellungnahmen, vor allem in der Grundlagenforschung, unter anderem in den Bereichen Musikphysiologie, Musiktherapie sowie Musikalische Akustik/Wiener Klangstil: „Bei den bisher an der MDW eingereichten Forschungsprojekten handelt es sich zumeist nicht um künstlerische Projekte, sondern um Studien, in denen naturwissenschaftliche, physiologische und psychologische Untersuchungsmethoden zum Einsatz kommen. Prinzipiell können sich aber auch bei künstlerischen Forschungsprojekten ethische Fragestellungen ergeben.“

In Medizin Pflicht

An Krankenanstalten waren Ethikkommissionen schon länger Pflicht, seit 2002 müssen auch Medizinische Universitäten oder Unis mit medizinischen Fakultäten ein entsprechendes Gremium haben. Im Universitätsgesetz sind die verpflichtenden Anwendungsbereiche aufgeführt: die klinischen Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten, die Anwendung neuer medizinischer Methoden und die angewandte medizinische Forschung am Menschen. Die beiden Vorsitzenden der Ethikkommission der Med-Uni Wien, Jürgen Zezula und Martin Brunner, konkretisieren: „Das sind alle Maßnahmen an Patienten oder Probanden, an identifizierbarem menschlichen Material wie Blut, Serum, Gewebeproben und DNA oder Daten, etwa Krankengeschichten, die zum Zweck des Erkenntnisgewinns gesetzt werden und/oder die nicht ausschließlich dem gesundheitlichen Nutzen jener Patienten und/oder Probanden dienen, bei denen die Maßnahmen durchgeführt werden.“ Grundlagen für die jeweiligen Entscheidungen seien unter anderem die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes sowie die Richtlinien zur guten klinischen Praxis: „Das ist ein internationaler ethischer und wissenschaftlicher Standard für Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung von klinischen Prüfungen am Menschen.“

Auf neue Forschung reagieren

Ethik sei wie die Wissenschaft selbst veränderlich, sind sich die Vorsitzenden einig. „Eine ethische Haltung muss weiter entwickelt werden, neue Erkenntnisse und gesellschaftliche Entwicklungen sind zu berücksichtigen“, sagt Glößl. Stegemann führt Stichworte wie Neuro-Ethik, KI, Gentechnik und Big Data an und sieht vor diesem Hintergrund neue Fragen, die eine Neupositionierung nötig machen. Nichtsdestotrotz: „Die Auseinandersetzung des Menschen mit ethischen Fragen ist etwas Zeitloses und kann als ein Merkmal der conditio humana angesehen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2021)

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