Gegengift

Mit Megawatt der Kultur in den Weltuntergang

Darf man für eine Oper nach London fliegen? Wie kühl müssen es Bücher haben? Ist Streamen sündhaft?

In Vor-Corona-Zeiten gab es die Diskussion auf der sonnigen Seite der Großraumbüros im Gegengiftstets, wenn es dramatisch warm wurde: Entspricht es unserem Sittengesetz, dass wir nun die Klimaanlage anwerfen? Seit Corona sitzen wir nun die zweite Saison ohne Klimaanlage bei offenem Fenster im Home-Office und fragen uns: Wie viel energieaufwendiges Streamen und Zoomen dürfen wir uns zugestehen, ohne Gefahr zu laufen, eine Politik der verbrannten Erde zu begünstigen? Der Grundsatzstreit wurde noch durch das sensibelste aller deutschen Feuilletons unserer Zeit befeuert, das die K-Frage stellte: Ist Kunst ein Klimakiller? Das böseste Argument aus dem kühlen Hamburg in Richtung Berlin: Allein die Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz würden für ihren Regelbetrieb jährlich so viel CO2 in die Atmosphäre pusten wie 120.000 Flüge zwischen Zürich und London.

Das hat die Büchernarren unter uns gegen die Fans von Ausstellungen aufgebracht, die in aller Welt unterwegs sind, um der Renaissance und anderen Modeerscheinungen nachzujagen. Auch die Propheten der Neuen Medien bekamen gehörig Tadel ab. Computer, Fernsehgeräte, klimatisierte Kinos seien brutale Strom-Fresser. Und wer weiß schon, wie viele Fahrten von Wien nach Paris äquivalent dem Stromverbrauch eines Nationaltheaters oder einer Staatsoper sind. Kurz: In Erdberg ging es bei den Beschuldigungen kindisch-polemisch zu wie in aktuellen Untersuchungsausschüssen oder gar in den Chats diverser staatsnaher Karrieristen. Niemand wollte auch nur ein Milliwatt Schuld am Weltuntergang auf sich nehmen.

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