Culture Clash

Die ideologische Spielart des Antirassismus

Immer noch alles beim Alten? Ein Zeitungsschnipsel am Rande zeigt, dass die ideologische Spielart des Antirassismus immer selbstverständlicher wird. Das ist keine gute Nachricht.

Es ist nur eine Marginalie, allerdings in einer Sache, die vielleicht tiefer geht als die großen Menschheitsprobleme, die uns derzeit umtreiben, wie etwa: „Wusste die Queen vom Namen ihrer Urenkelin?“ („Der Spiegel“), oder die Frage, ob die Floskel „Du schuldest mir was“ ein Beweis für den beunruhigenden Verdacht sein könnte, dass in Österreich Posten politisch besetzt werden. Die Sache, die uns angeht, ist die gleiche Würde aller Menschen. Und die Marginalie ist ein Satz, kürzlich in den „Financial Times“ gelesen.

Dort schreibt Autorin Fiona Sturges über neue Podcasts. Diesmal „Blindspot: Tulsa Burning“. Da geht es um eines der schwersten rassistischen Massaker in den USA, das vor 100 Jahren in Oklahoma von einem weißen Mob, von der Stadtverwaltung unterstützt, an Bewohnern eines schwarzen Wohnviertels begangen wurde. Der im Podcast auch erwähnte Fall des Schwarzen Terence Crutcher, der 2016 in Tulsa von einer weißen Polizistin erschossen wurde, illustriere, so Sturges: „how meaningful change for black Americans is yet to arrive.“

Eine Marginalie, die aber zeigt, wie die postmoderne Ideologie der Critical Race Studies still und leise schon in Podcast-Ecken renommierter Medien angekommen ist. 1921 durften Schwarze de facto nicht wählen. Die „Jim-Crow-Gesetze“ verwiesen sie auf schlecht ausgerüstete „schwarze“ Schulen, Spitäler, sogar Trinkwasserspender. Gemischte Ehen waren ebenso undenkbar wie Schwarze in höheren Ämtern. Gewalt gegen Schwarze kam oft nicht einmal vor Gericht. Nachdem in Tulsa hunderte Schwarze umgebracht worden waren, reagierten die Autoritäten, indem sie die schwarze Bevölkerung Tulsas in Viehpferchen internierte.

Dass man alles, was zwischen damals und heute liegt – von der Bürgerrechtsakte 1964 bis zu einem schwarzen Präsidenten – nicht als „meaningful change“ anerkennt, entspricht der Sicht der Critical Race Studies. Zu ihren Dysfunktionalitäten gehört, dass ihr alles Erreichte nichts gilt, solange noch nicht alles erreicht ist. Weil Rassismus nicht zuerst eine vorwerfbare Haltung des Einzelnen ist, sondern Charakteristikum des Herrschaftssystems der Weißen. Dass dieses System umzustürzen ist, indem man die Rassengegensätze nicht schrittweise abbaut, sondern im Gegenteil anschärft, erinnert nicht zufällig an den Ansatz des Marxismus, durch Klassenkampf das soziale Friedensreich herbeizuführen. Wer sich, welcher Hautfarbe auch immer, friedlich um Ausgleich bemüht, wird als bourgeoiser Kollaborateur geächtet. So marginal ist die Sache also vielleicht gar nicht.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com
www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2021)

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