Machtwechsel

Eine Enthaltung macht den Weg frei für Israels neue Regierung

Naftali Bennett (re.) löst Benjamin Netanjahu als israelischer Premierminister ab.
Naftali Bennett (re.) löst Benjamin Netanjahu als israelischer Premierminister ab.REUTERS
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Israels Parlament spricht mit knapper Mehrheit von 60 zu 59 der neuen Acht-Parteien-Koalition unter Premier Naftali Bennett das Vertrauen aus. Die 14-jährige Ära von Benjamin Netanjahu ist vorerst zu Ende.

Eine knappe Mehrheit der Abgeordneten im israelischen Parlament hat am Sonntag für die neue Regierung gestimmt. 60 von 120 Knesset-Mitgliedern votierten für das Acht-Parteien-Bündnis unter Führung von Naftali Bennett von der ultrarechten Yamina-Partei und Yair Lapid von der Zukunftspartei. 59 stimmten dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära des rechtskonservativen Langzeit-Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

In der Küstenstadt Tel Aviv feierten mit Beginn der Vereidigung viele Menschen ausgelassen den Abstimmungserfolg der neuen Regierung. Auf dem Rabin-Platz schwenkten sie Israel-Flaggen, hupende Autos fuhren durch die Straßen.

Gratulationen aus den USA

US-Präsident Joe Biden gratulierte Bennett und den Mitgliedern seines Kabinetts. "Ich freue mich darauf, mit Ministerpräsident Bennett zusammenzuarbeiten, um alle Aspekte der engen und dauerhaften Beziehung zwischen unseren beiden Nationen zu stärken", erklärte Biden in Reaktion. Der US-Präsident sicherte der neuen Regierung in der Mitteilung Unterstützung bei der Sicherheit des Landes zu. "Israel hat keinen besseren Freund als die Vereinigten Staaten", erklärte Biden. "Meine Regierung ist fest entschlossen, mit der neuen israelischen Regierung zusammenzuarbeiten, um Sicherheit, Stabilität und Frieden für Israelis, Palästinenser und die Menschen in der gesamten Region zu fördern."

Im Zuge einer Rotationsvereinbarung soll erst Bennett (49) Ministerpräsident werden und nach zwei Jahren von Lapid (57) abgelöst werden. Der neuen Regierung sollen 27 Minister angehören. Mickey Levy von der Zukunftspartei wurde vor dem Votum über die Regierung zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt.

Bennetts Eröffnungsrede wurde durch wiederholte wütende Zwischenrufe von Mitgliedern des Netanjahu-Lagers massiv gestört. Bennnett sprach sich darin gegen eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen mit dem Iran aus. Er warnte die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas vor einer "eisernen Mauer", sollte sie erneut Ziele in Israel angreifen. Israel werde sich unter seiner Führung für eine Annäherung an weitere arabische Staaten einsetzen. Die Hamas kündigte unterdessen eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen Israel an.

Die neue israelische Regierung besteht aus acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter auch die konservativ-islamische Raam. Es ist das erste Mal in Israels Geschichte, dass eine arabische Partei Teil der Regierung wird. Bennetts Yamina-Partei gilt dagegen als siedlerfreundlich, dies könnte die künftige Zusammenarbeit erschweren. Bennett ist auch der erste israelische Regierungschef, der dem national-religiösen Lager angehört und eine Kippa trägt.

Netanjahu seit 2009 an der Macht

Erstmals seit zwölf Jahren wurde nun in Israel eine Regierung ohne Netanjahu gebildet. Seine Likud-Partei ist größte Fraktion im Parlament, bleibt aber draußen und damit in Oppositio

Am Streit um ein Gesetz, das schrittweise mehr strengreligiöse Männer zum Wehrdienst verpflichten sollte, war Ende 2018 Netanjahus rechts-religiöse Koalition zerbrochen. Vier Parlamentswahlen endeten danach immer wieder mit einer Pattsituation. Es konnte seither auch kein neuer Haushalt verabschiedet werden.

Ex-Finanzminister Lapid von der Zukunftspartei hatte schließlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, nachdem Netanjahu damit gescheitert war. Lapid ließ aber Bennett den Vortritt im Amt des Ministerpräsidenten, um die Koalition zu ermöglichen. Der 71-jährige Netanjahu hatte bis zuletzt versucht, die Bildung der Regierung seiner politischen Gegner zu verhindern. Er warf Bennett vor, seine Wähler betrogen zu haben.

„We will be back soon"

Netanjahu sagte in der Sitzung: "Wenn wir in die Opposition gehen müssen, dann tun wir das - bis wir diese gefährliche Regierung stürzen." Der 71-Jährige betonte, er sei schon in der Vergangenheit aus der Opposition zurückgekehrt. "We will be back soon" ("Wir kommen bald wieder"), sagte er auf Englisch, auch in Richtung Teherans. Netanjahu gilt als einer der schärfsten Kritiker des Atomabkommens.

Er war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, seit 2009 ist er durchgängig Regierungschef. Länger als Netanjahu hat niemand seit Israels Staatsgründung 1948 regiert. Im Laufe seiner Amtszeit hat er sich mit vielen Politikern tief zerstritten und deren Vertrauen verloren. Viele Spitzenpolitiker auch aus Netanjahus rechtem Lager versagten ihm daher die Unterstützung. In der Kritik steht Netanjahu aber auch, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft.

Sollte die neue Regierung Bestand haben, könnte dies die politische Dauerkrise beenden, in der Israel sich seit zweieinhalb Jahren befindet.

Straßenfeiern

Vor der erwarteten Ablöse Netanjahus haben Demonstranten vor seinem Amtssitz in Jerusalem bereits gefeiert. Kritiker des scheidenden Regierungschefs jubelten und tanzten. Auf einem der Schilder stand am Samstagabend: "Bibi (Netanjahus Spitzname), das ist Dein letzter Samstag in Balfour, fang an zu packen." Vor dem Amtssitz an der Ecke der Straßen Balfour und Smolenskin war es immer wieder zur Protesten gegen den Ministerpräsidenten gekommen, gegen den ein Korruptionsprozess läuft.

Außerdem wurde vor der Abstimmung über die neue Regierung der Abgeordnete Mickey Levy von Lapids Zentrumspartei Yesh Atid zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt. Er erhielt am die notwendige Stimmenmehrheit. 67 der 120 Abgeordneten votierten für Levy. Er löst damit Yariv Levin von Netanjahus Likud-Partei ab.

(APA/dpa)

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